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Totenzimmer: Thriller (German Edition)

Totenzimmer: Thriller (German Edition)

Titel: Totenzimmer: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Staun
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zum Beispiel. Und alle anderen Formen von Kot.
    Ich ging zum See hinunter, der wie nasser Lack in der abnehmenden Dunkelheit glänzte. Linker Hand standen einige halbhohe Gewächse, vielleicht ein kleines Wäldchen, zu meiner rechten stand ein aus roten Ziegeln errichtetes Haus. Für einen kurzen Moment dachte ich wieder an all die Häuser, in denen man leben könnte, wenn man denn mehrere Leben hätte. Und an all die Menschen, die viele Kinder bekamen, um viele Leben zu leben. Sofort kam die Enttäuschung über mein eigenes Lebens wie ein dunkler Pfeil auf mich zugeschossen und bohrte sich durch mein Hirn.
Geh einfach, vergiss es
.

4
     
     
    Je weniger du sagst, desto weniger sagen sie; je weniger du reagierst, desto weniger reagieren sie,
betete ich mir im Stillen vor, als der Weg zum See an einem elektrischen Weidezaun endete, in dessen Mitte ein Gatter eingelassen worden war. Ich wusste nicht, ob hinter dem Zaun Tiere weideten, ich sah jedenfalls keine. Der Weg führte nach links abknickend weiter am Zaun entlang. Ein Stück vor mir erkannte ich die Lichter von Taschenlampen, die sich wie wütende Insekten durch die Nacht bewegten, und die vagen Umrisse von Männern in Schutzanzügen. Ihre Stimmen drangen bis jetzt aber nur als leises Murmeln zu mir. Ich folgte dem Pfad, blieb aber stehen, als ich die ersten Worte verstehen konnte, und räusperte mich: John erblickte mich und winkte mich zu sich, doch ich nutzte die Gelegenheit und zog mir schon hier, mich auf einen Zaunpfahl stützend, Schutzkleidung, Überschuhe und Handschuhe an. Die Mundbinde ließ ich noch weg.
    Ich hatte die allerbesten Vorsätze. Ich wollte meinen Job machen, so wenig wie möglich sagen, normal sein, am liebsten unsichtbar, und dann wieder nach Hause fahren. Die Kommissare beklagten sich regelmäßig über meinen Ton, dabei bemühte ich mich wirklich:
Je weniger du sagst, desto weniger sagen sie; je weniger du reagierst, desto weniger reagieren sie
, wiederholte ich.
    Sie waren dabei, eine Art Zeltdach über dem blassen Körper aufzuspannen, der mit dem Rücken über den Elektrozaun hing. Das weichende Dunkel wurde immer rissiger, und als ich näher kam und schließlich unter der Absperrung hindurchtauchte, nahmen mich die Details immer mehr gefangen, so dass ich die bekannte, etwas kratzige Stimme, die mich begrüßte, kaum wahrnahm. Es war Tommy Karoly, der leitende Hauptkommissar. Ich nickte ihm zu, musterte kurz die Kontur seines Bauches und entdeckte, dass er unter dem Schutzanzug eine zu lange Hose trug. Dann drehte ich mich um undsah fragend zu John, der mich über eine Strecke gelotst hatte, die die Techniker bereits untersucht hatten.
    »Gehen Sie nur zu ihr, der Strom ist ausgeschaltet«, sagte er. Ich mochte wortkarge Männer, sie gaben mir Sicherheit, besonders solche, die meine Gedanken lesen konnten. Er zeigte mit seiner Taschenlampe auf eine sehr junge, nackte Frau. Sie war übel zugerichtet: Schnittwunden am ganzen Körper, abgetrennte Brustwarzen. Schulter und rechte Hand lagen auf dem Gras der Weide, während die linke Hand auf ihrem Bauch ruhte. Das glasklare Gefühl eines Déjà-vu meldete sich in mir: Dieses Stillleben hatte ich schon einmal gesehen, diese Verstümmelung, dieses Mädchen. Ich zog die Mundbinde hoch und trat näher.
    John leuchtete mit der Taschenlampe auf den toten Körper, ich hörte die anderen mit der Plane hantieren. Mein Blick aber klebte an der Leiche.
    »Sieht aus wie ein Sexualmord, oder?«, hörte ich Karoly sagen, vermutlich zu mir gewandt.
    Überflüssige Worte
, dachte ich und starrte stumm auf die abgeschnittenen Brustwarzen,
verunreinigen die Welt
. Ich hob den Blick und starrte in zwei durchsichtige, blaue Augen, die leer unter den halb geschlossenen Lidern hindurchblickten. Das Gesicht des Mädchens war schlaff, ihre blonde Mähne berührte beinahe das Gras.
    Einer der Männer, weder Karoly noch John – vermutlich einer der Kollegen von Karoly, die ich noch nicht kannte –, sagte:
    »Sieht irre aus, oder?«
    Sieht irre aus, oder?
Wo holen die nur diese Worte her?
    Ich ignorierte ihn und streifte mit meinem Blick weiter über den Körper mit all seinen klaffenden Schnitt- und Stichwunden, ein Mosaik aus getrocknetem Blut. Die Tote war schlank und bei näherem Hinsehen gar nicht blass, sondern sonnenverbrannt mit sichtbaren Bikinistreifen; wo die Sonne zugeschlagen hatte, war ein fahles Rot zu erkennen. Als ich in ihrem Alter war, dachte ich, lag ich im KongensHave in Kopenhagen und

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