Totenzimmer: Thriller (German Edition)
paukte Anatomie. Splitternackt und grenzenlos braungebrannt, ohne Bikinistreifen.
»Was wissen wir?«, fragte ich, ohne den Blick von der Leiche zu nehmen.
»Nicht viel, aber möglicherweise ist das die, die Dienstagabend verschwunden ist, ich warte noch auf ein Foto. Die Vermisstenstelle sucht das gerade heraus«, sagte Karoly.
»Ich wette, das ist sie nicht«, sagte eine Stimme, die ich nicht kannte. »Die war doch aus Odense, aber klar, theoretisch könnten die sich ja auch bewegt haben.« Schon wieder so ein Déjà-vu.
»Die Frau, die wir letztes Jahr in Faaborg gefunden haben, stammte auch aus Odense«, begann ich und dachte:
verdammt viel Ähnlichkeit mit der hier
. »Sie waren im letzten Jahr nicht dabei, Karoly, das war … Ihr Kollege, dieser andere, ich vergesse immer seinen Namen, ist aber auch egal. Aber erinnern Sie sich an den Fall beim Schloss Hvedholm? Ich glaube, das Opfer hieß Camilla Porsman. August, letztes Jahr?«
Camilla Porsman war mein erstes Mordopfer auf Fünen gewesen, ich war damals gerade erst hergezogen. Auf jeden Fall war die Decke, unter der ich schlief, noch nicht bezogen gewesen, als das Telefon mitten in der Nacht klingelte.
»Ich erinnere mich ganz dunkel«, sagte Karoly. Ich schnappte ein leises Seufzen auf, als wollte er sagen:
Ich habe so viel zu tun, wie soll ich mich da an alles erinnern?
… Er stand unter Stress, während mein Leben ein Meer aus Zeit war, die ich nicht auszufüllen vermochte. Und was taten die anderen Menschen? Davon abgesehen, mich zu mystifizieren und dazu zu bringen, mich irgendwie fehl am Platze zu fühlen.
»Neunzehnjähriges Mädchen«, begann ich langsam. »Rücklings auf einem umgekippten Gartenstuhl liegend zurückgelassen. Am Wasser. Der Kopf war unter Wasser, die Beine ragten in die Luft. Blond und hübsch und jung wie diese hier. Auch ihre Brustwarzenwaren abgeschnitten, sie glich … die Art, wie sie zugerichtet war, erinnert an die Vorgehensweise hier.« Ich hatte die Leiche noch nicht einmal untersucht und stand schon wieder da und füllte die Luft mit überflüssigen Worten. Ich konnte hören, wie Karoly fleißig etwas auf seinem Block notierte.
Ich schloss für einen Moment die Augen. Was ich nicht vergessen konnte und auch niemals vergessen würde, war der Anblick der drei zahmen Gänse, die über die misshandelte Leiche watschelten, an ihren Haaren zerrten und in ihre Scheide pickten wie Raubtiere.
»Er hätte sie einfach in den Wallgraben werfen können«, sagte ich laut, aber eher zu mir selbst, denn für die anderen ergab das natürlich keinen Sinn. Das Schloss Hvedholm verfügt über einen beeindruckenden, pittoresken Wallgraben, in dessen Nähe sich dieser kleine, blöde Teich befand. Er hätte sie wirklich beim Schloss liegenlassen sollen.
Erst als Karoly neben mir stand, reagierte ich. Er schüttelte den Kopf. »Ich erinnere mich gut, nur nicht an alle Details.«
»Das war Anfang August. Sie waren noch in den Ferien. Die Ermittlungen wurden irgendwann eingestellt …«
»Ausgesetzt«, unterbrach Karoly mich. »Mordermittlungen werden nie eingestellt.«
»Whatever. Das Mädchen war an einem anderen Ort ermordet und dort am Wasser nur abgelegt worden. Gefunden wurde sie in einer Samstagnacht von einem ziemlich betrunkenen Hochzeitsgast, der prompt einen Schock bekam. Klar, ein Mann – wer hat die hier gefunden?«
Er kritzelte noch etwas auf seinen Block, ehe er aufblickte. »Ein Liebespärchen, Teenager mit sehr roten Augen und großen Pupillen. Sie waren wohl auf dem Weg zum See, um zu … Sie wissen schon …« Er machte die Bewegungen und ich sah weg. »Es sind immer Betrunkene oder Ornithologen. Andere Leute schlafen nachts.« Er lachte etwas zu laut für die gedämpften Stimmen um ihnherum und viel zu laut für mich. Am liebsten hätte ich ihm eine geknallt – wie immer, wenn ich ihn traf –, stattdessen nahm ich den linken, nach unten hängenden Arm des Opfers und versuchte, ihn zu beugen. Die Leichenstarre war schon recht ausgeprägt, so dass es mir nur gelang, indem ich meinen anderen Arm gegen ihre Schulter stemmte. Ich ließ den Arm vorsichtig los und sah in Richtung des anderen Technikers, der plötzlich ein paar Meter von mir entfernt aufgetaucht war. Ein anonymer junger Kerl, den ich noch nie gesehen hatte. Er nickte mir freundlich zu und sagte, er hieße John. Mein lautes Seufzen konterte er mit einem Lachen und meinte: »Nennen Sie mich einfach den kleinen John, das macht die Sache einfacher.« Ohne
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