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Toter geht's nicht

Toter geht's nicht

Titel: Toter geht's nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Faber Dietrich
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Ende-Gelände.» Dann lacht er leise durch die Nase schnaufend in sich hinein. Seine Nasenhaare, die in Pracht und Anmut seiner Ohrenfrisur in nichts nachstehen, wehen verwegen im Wind.
    Ich versuche es erneut mit meiner Frage: «Also, wann soll ich …»
    «Weißte, Henny, das hat auch was mit Solidarität zu tun, dass nicht immer die gleichen Leute ranmüssen. Also, mich nehme ich da noch nicht mal als Maßstab, aber zum Beispiel Molli, Daggy und Steffi, die können auch nicht immer für dich einspringen.»
    «Ja, verstehe ich ja. Ich …»
    «Dann hättest du zu ’nem städtischen Kindergarten gehen müssen. Man kann nicht auf der einen Seite die Vorzüge einer freien Gruppe respektive Mitspracherecht mitnehmen und andererseits …»
    «Wolle, ja, ich hab doch gesagt …»
    «… und andererseits aber sich vor der Verantwortung drücken. Es geht hier ja nicht um mich oder die Erzieherinnen, es geht um unsere Kinder. Es geht …»
    «Wolle, ist klar. Ich …»
    «Meinste, mir macht das Spaß, euch immer allen hinterherzurennen und …»
    «Jaaaa, Herrgott, ich mach es doch, verdammt nochmal!», fahre ich ihn an.
    Nun endlich ist er ruhig. Ein paar Sekunden später sagt er:
    «Irgendwie bringste da jetzt ’ne Ebene in die Diskussion, die mir nicht gefällt.»
     
    Die gut dreiviertelstündige Autofahrt nach Alsfeld zum Büro nutze ich, um abzukühlen. Ich werde mir also den morgigen Tag freinehmen, um als Hilfserzieher im Schlumpfloch anzutreten.
     
    Nun ist er da, dieser Tag, und es wartet gleich zu Beginn eine erste Aufgabe auf mich.
    Ich soll ein schreiendes Kind aus den Armen seiner Mutter reißen.
    «Jetzt mach schon. Du musst sie einfach nehmen und ganz festhalten», fährt mich Mutter Julia an. In meinen Armen zappelt ein wild um sich schlagendes und tretendes dreijähriges Mädchen. «Die macht immer so ’n Terz, wenn ich sie morgens bringe … ich muss los.»
    Dann geht Julia.
    «Mammaaaa.»
    «Komm, Anna, wir gehen jetzt rein. Da kannst du dann schön spielen», versuche ich zu besänftigen.
    «Neiiiiin!»
    Anna flutscht mir fast aus den Händen.
    «Hör zu, du machst halt grad ’ne schwierige Phase durch, Trotzphase nennt man das. Trotzdem könnteste jetzt mal aufhören, die ganze Zeit so um dich zu treten. Das bringt doch nix.»
    «Maaamaaa!»
    Heute also muss ich im Schlumpfloch unsere Erzieherin, deren Name mir wieder nicht einfällt, vertreten. Zwölf Kinder gilt es nun gemeinsam mit der Jahrespraktikantin Steffi zu betreuen.
    Die erste Bewährungsprobe habe ich bestanden. Anna, die laut Aussage von Steffi ein sehr lebhaftes Kind ist und auch mal gerne mit dem Kopf zuerst von hohen Schaukeln stürzt, habe ich mit nur einem blauen Fleck an meinem Oberschenkel ins Spielzimmer wuchten können.
    Dann treffen auch die anderen Kinder ein. Viele ihrer Eltern motivieren mich mit mitleidigen Blicken für die nächsten Stunden, ehe sie sich ins kinderlose Berufsleben stürzen.
    Ich stehe zunächst ein bisschen blöd in der Ecke rum, bis ich mich dazu entschließe, Steffi machen zu lassen und auf ihre Anweisungen zu warten. Ich suche lange nach einem Stuhl, bis ich feststelle, dass die herumstehenden Holzstühlchen im Raum nicht zum Puppenhaus gehören, sondern offizielle Sitzgelegenheiten sind. Ich setze mich. Der Stuhl verschwindet vollständig unter mir. Ich gucke. Es ist laut. Sehr laut. Zu laut.
    Nach ein paar Minuten steht Laurin vor mir.
    «Papa, so geht Vertretung nicht.»
    «Hmm … und wie geht Vertretung?»
    «Du musst mit uns spielen.»
    «Aha.»
    Folgsam mache ich heitere Späße. Innerhalb von fünf Minuten liegen zehn Kinder auf mir. Nur Anna und Calvin-Manuel nicht. Anna hat Nasenbluten und lässt sich nicht von Steffi trösten, und Calvin-Manuel malt für seinen Papa Wolle ein Gedicht.
    «Äh, Ding, wie heißt der, äh, stopp», rufe ich.
    «Jonas heißt der», hilft mir Laurin, der auf meinem Kopf liegt.
    «Jonas, nee, das nicht, nicht die Brille. Gib mir die Brille wieder.»
    Jonas trägt nun meine Brille. Ich schüttele die Kinder sechs bis acht, die noch an mir hängen, ab und hole mir die Brille zurück. Jonas heult.
    «Henning, du Blödmann», trällert eine Laura feixend. Alle anderen Kinder stimmen fröhlich ein. Drei Minuten lang singen sie «Henning, du Blödmann».
    Steffi macht Frühstück.
    Henning, ich Blödmann, singe ich im Geiste mit, bis ich irgendwann verkünde: «Blödmann genannt zu werden, das finde ich jetzt irgendwie nicht so gut.»
    Danach werde ich von

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