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Toter geht's nicht

Toter geht's nicht

Titel: Toter geht's nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Faber Dietrich
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Bernd, dem Brot erschossen, und wir können frühstücken. Ich bewundere die angehende Erzieherin Steffi, der es virtuos gelingt, zwölf Kinder gleichzeitig dazu zu bewegen, zu essen, zu trinken, sich nicht die Gabel durch das Brot-Bernd-Kostüm ins Auge zu stechen und sich im Anschluss gar noch mit Vollwert-Zahnpasta die Zähne zu putzen. Staunend sitze ich auf meinem Zwergenstuhl und wische mir die ausgespuckten Müslireste meiner Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom-Tischnachbarin von der Brille. Innerhalb von sieben Sekunden verwandelt Steffi die Kindergruppe in eine rauschende Hochzeitsfeier, bei der alle Kinder reizende Kostüme tragen und König Mucahit die Prinzessin Larissa heiratet. Kurz gibt es Streit, da König Mucahit für seine Braut ein Kopftuch verlangt, das diese aber vehement ablehnt. Ich wiederum spüre wenig später meinen Blutdruck ansteigen, als ich versuche, 24 Füße mit ungefähr 223 Gummistiefeln passend in Verbindung zu bringen und ebenso viele Beine in sogenannte Matschhosen zu bugsieren. Zwei Senioren des Kindergartens, die sechsjährigen Marvin und Goran, teilen mit, dass sie im Sandkasten eine Falle für Calvin-Manuel bauen, eine ganz tiefe, in die er reinfallen soll.
    «Aber da tut er sich doch weh», gebe ich zaghaft zu bedenken.
    «Soll er doch auch.»
    Wieder werde ich erschossen, diesmal mit einem aus Öko-Holz selbstgeschnitzten Maschinengewehr.
    «Spielt doch mal Frieden!», rufe ich der Meute darauf zu.
    Große Augen starren mich verwirrt an, und mir fällt ein, dass es für Kinder in diesem Alter ungemein wichtig sein soll, ihre Aggressionen zu spüren, zu kanalisieren und auszudrücken oder so. Als ich dann, der ich nicht Besitzer einer Matschhose bin, von Kopf bis Fuß eingematscht werde und Goran, meine Ermahnungen souverän ignorierend, die abgezählten vollwertigen Melonenstücke den übrigen teilweise weinenden Kindern wegisst, um den Rest dann quer durch den Garten zu werfen, bemerke auch ich, dass ich meine Aggressionen spüre. Ich kanalisiere sie und gebe ihnen Ausdruck. Und das dann doch eher laut. Sehr laut. Zu laut. Mit Worten, die nicht so wirklich gut in die Gesamtsituation passen.
    Goran ist beeindruckt. Steffi nicht.
    «Ich geh mal kurz eine rauchen», sage ich schnaufend.
    Ich stelle mich an die Straße, zünde mir die Zigarette an, da sehe ich schon Wolle mit vollwertigen Essenstöpfen herannahen.
    Ich verstecke die Zigarette hinter meinem Rücken, als wäre ich vierzehn und Mama erwischte mich.
    «Und, Henny, alles klaro? Wie läuft’s?», fragt er.
    «Genial», sage ich.
    «Gell, macht Spaß?»
    «Hmm.»
    «Na, ich bring dann mal die Töpfe rein, ne?»
    «Hmm.»
    Das hätte mir eben nicht passieren dürfen, dieser Ausbruch. Da müsste ich als Erwachsener doch drüberstehen. Allerdings bin ich auch kein Erzieher. Ich bin nur Ersatz und erst recht kein vollwertiger. Vollwertig ist heute nur das Essen.
Du hast wirklich zu einem Sechsjährigen Arschloch gesagt?
Ja, aber es tat mir sofort leid. Ich habe mich auch sofort entschuldigt. Ich habe ihm erklärt, dass man Arschloch nicht sagen dürfe, dass er auch keines sei, dass er sich allerdings wie eines verhalten habe.
Lol
Lol?
Das heißt so was wie: Ich lache laut
Ach so
Magst du Kinder?
Ja, ich glaube schon, zumindest, wenn sie keine Arschlöcher sind und wenn sie nicht wie heute Vormittag zu zwölft auf engstem Raum auftreten. Und du?
Ja, schon. Wie läuft das bei dir mit deinen eigenen Kindern?
Na ja, mal so, mal so.
Wie gehen die denn damit um, dass ihre Mutter nicht da ist?
So richtig kann ich das nicht einschätzen, aber ich denke, sie arrangieren sich. Meine Güte, ständig geht es nur um mich. Jetzt erzähl du doch mal was von dir – wenn du Kinder magst, warum hast du dann keine, wenn ich das fragen darf?
Wer sagt denn, dass ich keine habe?
Ich dachte, weil du alleine oben auf dieser Hütte bist.
Ich bin müde. Bis bald mal wieder.
Wie?
Gute Nacht

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    17. KAPITEL
    I ch habe mir immer eingeredet, dass mir die 45 Minuten Autofahrt, die ich von Bad Salzhausen zum Polizeibüro in Alsfeld benötige, guttäten. So als Puffer zwischen Familie und Beruf. Ich könnte prima die Familie hinter mir lassen und die Zeit nutzen, mich auf den Job einzustellen, und abends umgedreht die Arbeit hinter mir lassen und mich aufs Familienleben einstimmen. Da ich aber das ungute Gefühl habe, mich weder auf das eine noch auf das andere eingelassen zu haben, war diese dreiviertelstündige Landstraßenfahrt

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