Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Toter geht's nicht

Toter geht's nicht

Titel: Toter geht's nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Faber Dietrich
Vom Netzwerk:
ich ihr Papierkügelchen zu. Das finde ich witzig. Sie nicht. So vergeht auch dieser Arbeitstag.
     
    «Ja, ich weiß, das Ding ist schon ziemlich Asbach», sage ich, nachdem ich am späten Nachmittag das alte Klaus-Drossmann-Keyboard in Melinas Zimmer aufgebaut habe.
    «Was ist das?», fragt meine Tochter mit angewidertem Gesicht.
    «Na, das Keyboard, das ich versprochen hatte, dir mitzubringen. So zum Ausprobieren», antworte ich.
    «Nee, ich mein, das Wort, das du eben gesagt hast. Atzbach … oder so.»
    «Ach so, na ja, ich sagte, dass das Teil ziemlich Asbach ist. Fast 25 Jahre.»
    «Häh?»
    «Na ja, alt, meine ich. Sagt man das nicht mehr so? Als wir jung waren, haben wir immer ‹Asbach› gesagt, wenn wir meinten, dass etwas richtig alt ist. Weißt du, da gab es mal eine Werbung, die kennt ihr wahrscheinlich gar nicht mehr, da ging es um einen Weinbrand … äh, Melina?»
    «Ja, hi, hier ist Melina, kann ich ma die Joey?»
    Sie telefoniert, während ich ihr von meiner Jugend erzähle.
    «O.k., Jamann. Bin gleich da.»
    Dann legt sie auf. Das Interesse an spannenden Geschichten von früher ist ähnlich groß wie die Begeisterung für das Keyboard, das ich extra und illegal für sie aus dem Polizeilager mitgebracht habe. Liegt es an ihrer altersgemäßen Launenhaftigkeit oder doch eher daran, dass das japanische Tastengerät mindestens so alt aussieht, wie es tatsächlich ist?
    «Dad, ich bin jetzt Stadt!», höre ich sie noch sagen, ehe sie durch die Haustür verschwindet.
    Aha. Sie ist jetzt Stadt.
    «Um sieben bist du spätestens wieder hier», rufe ich ins Nichts.
    Da Laurin bei einer Freundin zum Spielen ist, habe ich etwas Zeit für mich. Ich setze mich an das Notebook und schaue, ob Sandra online ist. Ist sie nicht. Dann bringe ich mich auf eintracht.de über meine Lieblingsmannschaft auf den neuesten Stand und diskutiere im Forum darüber, ob der brasilianische Mittelfeldspieler Caio doch noch den Durchbruch schafft oder nicht. Sandra ist immer noch off, wie man sagt.
    Wer ist sie? Bis heute weiß ich weder, wie sie aussieht, noch, wie sie mit Nachnamen heißt. Habe ich sie überhaupt schon danach gefragt? Ich glaube, nein. Jedenfalls kann ich mich weiterhin nicht daran erinnern, eine Sandra aus meiner Schule gekannt zu haben, die drei Jahre jünger gewesen sein soll. Nachdem mir bisher genau diese Anonymität gefiel, entwickle ich momentan immer stärker das Bedürfnis, mehr über sie zu erfahren.
    Ich gehe auf die Homepage meiner alten Schule und finde dort eine Ehemaligendatenbank. Dort können sich Exschüler und -schülerinnen zum passenden Abgangsjahr eintragen und ihre E-Mail-Adresse hinterlegen. Ich durchforste den Jahrgang 1994 und suche nach den Sandras. Ich finde zwei. Eine Sandra Bergmann und eine Sandra Salbach. Dann google ich beide Namen. Zu Sandra Bergmann bekomme ich 423 000 Einträge. Zudem weiß ich ja gar nicht, ob Sandra nach ihrer Heirat den Mädchennamen überhaupt behalten hat. Ich klicke dann auf «Bilder», in der Hoffnung, vielleicht ein Gesicht wiederzuerkennen. Dies ist bei Sandra Bergmann ebenso wenig der Fall wie bei Sandra Salbach.
    Danach besuche ich die Homepage einer Rehaklinik auf der Insel Borkum. Hier müsste Franziska sein, denke ich. Nicht einmal das weiß ich genau. Angerufen hat sie ja. Die Kinder haben mit ihr gesprochen. Ich hätte nicht gewusst, was ich hätte sagen sollen. Beim Blick auf die Fotos dieser Klinik fühle ich mich ihr nahe, obwohl ich das Gefühl habe, sie von Tag zu Tag immer mehr zu verlieren. Ich schaue auf die Uhr. Laurin muss abgeholt werden. Ich steige ins Auto und denke mir, das läuft doch inzwischen einigermaßen, das mit den Kindern und mir.
     
    Ich lobe Melina überschwänglich dafür, dass sie diesmal lediglich zwölf Minuten zu spät nach Hause gekommen ist.
    «Und wie war’s in der Stadt?», frage ich sie, während wir zu dritt am Tisch sitzen und Pizza essen. Ich habe den Wunsch meiner Kinder befolgt und zum dritten Mal in fünf Tagen beim Lieferdienst Pizza bestellt.
    An den beiden anderen Tagen waren wir beim Türken Döner essen.
    «Türken essen, Türken essen», skandierte Laurin vorgestern auf dem Weg dorthin durch Niddas Fußgängerzone. Es dauerte ein paar böse Blicke der Einheimischen, bis ich kapiert hatte, meinen Sohn auf die Seite nahm und ihm erklärte, dass wir keine Türken essen, sondern beim Türken essen möchten.
    «Und wie war’s in der Stadt?», frage ich nun Melina in unserer Küche ein zweites Mal,

Weitere Kostenlose Bücher