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Toter geht's nicht

Toter geht's nicht

Titel: Toter geht's nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Faber Dietrich
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nicht da war. Ich hatte es gehofft. Ich hatte Angst, vor allem vor Melina. Angst, dass sie sofort auflegt oder mich beschimpft. Doch es war ganz anders. Eigentlich haben wir gar nicht viel geredet. Ich wollte nicht so viel lügen. Sie wollte wissen, wie es in der Klinik in Borkum wäre, was ich hier machen würde und Ähnliches.
Da habe ich herumgedruckst und mich dabei mal wieder so derartig schuldig gefühlt.
Es war klar, dass ich wegmusste. Waren auch noch die ganzen Lügen nötig? Wäre es nicht besser gewesen, wirklich eine Kur zu machen, mir wirklich helfen zu lassen, statt wochenlang alleine zu sein? Aber es musste doch alles so schnell gehen. Wie hätte ich denn so kurzfristig einen Platz bekommen sollen? Ach, ich hadere wieder. Alles dreht sich im Kreis. Ich muss bald zurück. Antworten finden.
Melina wirkte am Telefon so erwachsen. Ich habe mir Mühe gegeben, nicht nach der Schule zu fragen. Das war wohl auch gut so. Mir kommt es vor, als wäre ich ein Jahr weg, und nicht einen Monat. Sie hat mir erzählt, dass sie Keyboard spielen will, dass sie eine Mädchenband gründen. Ich habe ihr gesagt, wie sehr mich das freut. Ich war so unsicher. Zu Hause habe ich immer alles dafür getan, nie unsicher zu sein. Gerade bei den Streitereien in der letzten Zeit habe ich hart darum gekämpft, ihr immer mit einer klaren Ansage entgegenwirken zu können. Wie man das so machen soll, bei Pubertierenden. Habe ich ja auch gelernt, im Studium. Doch meistens war ich im Umgang mit ihr eben überhaupt nicht selbstsicher. Ich wusste nicht mehr, was ich will, was ich nicht will, was ich ihr erlaube, was nicht, und in welcher Art und Weise ich auf sie reagieren soll. Ich habe das Gefühl, viel zu oft eine Rolle gespielt zu haben. Ich hab die Art Mutter dargestellt, die ich glaubte sein zu müssen, die ich aber einfach nicht bin. Melina hat das durchschaut, unbewusst, da bin ich mir sicher. Sie hat mich immer mehr schachmatt gesetzt. Sie hat meine Schwachstellen bemerkt und sie ausgenutzt. So sind wir immer mehr aneinandergeraten. Am Ende fast jeden Tag; wir haben uns ja nur noch angebrüllt. Und Henning hat mich immer mehr damit alleingelassen, was mich dann noch wütender gemacht hat.
Laurin hat am Telefon kaum geredet. Er hat mir von einem wichtigen Fußballtor erzählt. Ich habe ihn dann alles Mögliche gefragt. Nach Kindergarten, Freunden, Gameboy usw. Und er hat immer nur «Ja», «Nein» oder «Gut» geantwortet.
Ich glaube, er war mit der Situation überfordert. Wie ich auch. Wie wir alle.
Petra habe ich gemailt, dass ich in den nächsten vierzehn Tagen meine Zelte hier in der Hütte abbrechen möchte. Vermutlich wird sie auch erleichtert sein, dass diese Geheimniskrämerei dann ein Ende hat.
Ich weiß nicht, wie und ob das mit Henning weitergehen kann und soll. Vielleicht muss einer von uns beiden ausziehen. Vielleicht muss auch das Haus verkauft werden, wenn ich als Lehrerin aufhöre. Alles ist offen. Nur eins ist klar: So bleiben, wie es vorher war, kann es auf keinen Fall.

[zur Inhaltsübersicht]
    20. KAPITEL
    D er allmorgendliche Hundespaziergang ist wie ein Mantra für mich. Ich gehe jeden Tag die gleiche Strecke. Alternativen zu überlegen würde mich derzeit überfordern. In den letzten Wochen hat sich in meinem Leben so viel geändert, da beruhigt es, Morgen für Morgen den gleichen Weg zu laufen. Eine Konstante. So bleibt es nicht aus, dass ich immer auf die gleichen Menschen treffe. Intensiv werden diese Begegnungen auf einer großen Wiese, die zwischen Park und Waldrand gelegen ist. Dieses Feld wurde vor einigen Jahren von der Partei der Hundebesitzer okkupiert. Hier laufen nämlich die Hunde frei, und wehe dem, der ohne Tier dieses Areal betritt. Der muss schauen, wo er bleibt. Es soll Jogger gegeben haben, die so naiv gewesen sind, unbehundet das Feld durchqueren zu wollen. Was aus ihnen wurde? Man weiß es nicht. In der Stunde zwischen acht und neun steht an jedem Morgen in der Mitte der Wiese das Zentralorgan. Der unumstrittene Herrscher dieses Reviers. Das Oberste Herrchen. Es ist Egon. Egon steht hier seit Jahren und lenkt und kontrolliert die Geschicke, gemeinsam mit seinem Schäferhund Nero. Wenn man seinen Hund hier ausführen möchte, muss man mit Egon klarkommen, und das Tier muss mit Nero klarkommen. Sonst wird es schwierig. Auch Berlusconi hat seine Lektion gelernt, wurde als junger Hund fast aufgefressen und geht nun einer direkten Kommunikation mit Nero aus dem Weg. Ich versuche dasselbe mit

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