Toter geht's nicht
Ex-Volleyballer. Ich reiche ihm die Hand, er ergreift sie, zieht mich an sich und drückt mich.
«Henning, du Pfeife, ich freu mich sehr, dich zu sehen. Du wirst es nicht glauben, ich habe dich sogar vermisst.»
«Was? Dann muss es dir aber wirklich schlecht gegangen sein», rutscht es mir heraus. Scheiße. Was sage ich denn da? Markus’ Augen fixieren mich. Jetzt haut er mir auf die Fresse, denke ich, doch er lacht nur.
«Vor allem dein Humor», sagt er.
Dann setze ich mich und stammele los: «Also, pass auf, Markus, ich will mich erst mal entschuldigen, für mein ignorantes Verhalten damals beim Italiener und am Telefon und dass ich mich nie bei dir gemeldet habe und so. Ich wollte die ganze Zeit, aber, weißt du, die Arbeit und das alles … ach was, es ist so: Ich hatte einfach Schiss, und ich freue mich sehr, dass ich dich jetzt treffe.»
Ich halte inne. Markus grinst und sagt: «Passt schon.»
«Wie geht’s deiner Kleinen?», frage ich und füge unsicher hinzu: «Also nur, wenn du darüber, äh, reden willst. Wenn nicht, ist auch …»
Doch dann erzählt er mir in ruhigem sachlichen Ton: Dass seine Tochter Laura schon über den Berg sei, könne man noch nicht sagen, die Heilungschancen lägen inzwischen allerdings bei achtzig Prozent. Die Chemotherapie habe sie gut verkraftet; nun müsse man sich auf eine zweijährige Behandlungszeit einstellen. Er erzählt mir von guten Ärzten und doofen Schwestern und von doofen Ärzten und guten Schwestern. Er sei sich sicher, dass Laura das schafft. Das spüre er.
Er redet so, als sei ich sein Freund.
«Ich habe schon ernsthaft durchgehangen. Diese alberne Frage, warum gerade Laura, stelle ich mir auch immer wieder. Aber es muss ja jetzt irgendwie weitergehen. Ein bisschen Normalität soll nun wieder rein ins Leben», sagt Markus. «Das haben uns auch die Ärzte geraten.»
«Deswegen willst du auch wieder arbeiten?», frage ich.
«Ja. Ich brauche mal wieder andere Themen. Ich muss wieder die Fürze von deinem Köter riechen und mich über Teichner aufregen. Und auch Nadja und ich brauchen Abstand. Wir lassen viel von dem Scheiß, den wir durchmachen, derzeit an uns aus. Und das ist auf die Dauer nicht wirklich gesund.»
«Ja, kann ich mir denken», stimme ich zu.
«Vor allem will ich auch mal über etwas anderes reden. Also Schluss jetzt mit dem Thema. Erzähl mal, was ging bei euch Bullen in den letzten drei Wochen ab? Was macht die Drossmann-Geschichte?»
«Na ja, es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, dass du nicht an allen Ecken und Enden gefehlt hast. Miriam macht das super, aber …»
«Ganz kurz», unterbricht mich Markus, «bist du im Dienst?»
«Nö, eigentlich nicht, wieso?»
Es ist 15.30 Uhr, und Markus Meirich bestellt die ersten beiden Gläser Weizenbier, und es werden bis zum frühen Abend nicht die letzten sein.
Ich berichte zunächst mehr, später weniger nüchtern über unsere Ermittlungen. Er will alles wissen. Nicht einmal meinen Vater lasse ich aus. Während meiner Erzählungen und seiner Nachfragen merke ich, dass die Ansätze unserer Ermittlungen nicht ganz so übel waren, wie es mir immer vorkam. Wir sind nur zu selten in die Tiefe gegangen und hätten beispielsweise noch mehr die Umfelder der beiden toten Drossmänner durchforsten müssen. Vielleicht hätte der Suizid von Frank Drossmann sogar vermieden werden können. Das allerdings glaubt Markus nicht. Er sagt es zwar nicht, aber ich spüre, dass er sich schwertut, an Selbstmord zu glauben. Wie zu befürchten war. Ab morgen wird er zweifellos mit der ihm eigenen Beharrlichkeit bei der Spurensicherung und in der Gerichtsmedizin dieser Frage nachgehen.
Im Überschwang alkoholisierter Brüderlichkeit hätte ich Markus fast die Vögel-Geschichte mit Miriam erzählt. Doch ich beherrsche mich. Auch das Thema Franziska lasse ich trotz Nachfragen außen vor. Meine Probleme sind einfach zu klein, wenn ich an seine Laura denke. Als ich ihm gerade erzähle, wie ich Teichner dabei erwischt habe, wie er mit einem Bleistift seinen Nabel säuberte, piept mein Handy. Eine SMS von Melina:
«Mom hat angerufen. Krass. LG Mel»
Wenig später verabschieden wir uns herzlich. Ich fahre äußerst fahruntüchtig nach Hause und schwöre mir, so etwas nie wieder zu tun.
Ich habe es nicht mehr ausgehalten. Ich musste ihre Stimmen hören. Ich musste ihnen sagen, dass es mich noch gibt, dass ich an sie denke und dass sie mich wiederhaben werden, irgendwann. Vielleicht war es gut, dass Henning
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