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Totes Meer

Titel: Totes Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Keene
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konnten wir wieder Wasser ausschöpfen. Das machten Carol und ich, während der Chief Wache schob und die Kinder die Waffen hielten. Wir schöpften sehr vorsichtig, immer auf der Hut vor übrig gebliebenem Blut. Als wir fertig waren, sammelten Carol und ich alles ein, an dem Runkles Blut klebte, und warfen es über Bord, auch seine Pistole. Ich wollte sie eigentlich nicht aufgeben, aber wir hatten nichts, womit wir die Waffe hätten reinigen und desinfizieren können. Sie sank wie ein Stein.
    Und dann warteten wir und beobachteten uns gegenseitig, ob sich erste Anzeichen der Krankheit zeigten. Wir waren müde, aber niemand litt an Übelkeit, Kurzatmigkeit oder Kreislaufproblemen. Den Chief behielten wir besonders im Auge, da er dem größten Infektionsrisiko ausgesetzt gewesen war. Stunden vergingen, ohne dass etwas passierte. Falls einer von uns sich mit Hamelns Rache angesteckt hatte, zeigten wir keine Symptome. Wir alle fühlten uns gut und schienen in Ordnung zu sein. Carol hatte die Idee, dass
vielleicht das Salzwasser etwas enthielt, was die Seuche abtötete. Aber keiner von uns wusste es sicher. Ich war ein arbeitsloser Fabrikarbeiter. Carol war eine ehemalige Qualitätskontrolleurin eines Lackierwerks und neuerdings Aushilfslehrerin für die Kinder. Und der Chief war ein ehemaliger Offizier der Küstenwache und Museumsführer. Keiner von uns verfügte über das nötige Wissen, um Hamelns Rache völlig zu verstehen und zu diagnostizieren, geschweige denn um einen Weg zu finden, sie zu besiegen.
    Die Sonne stieg langsam höher, und Vögel zeigten sich, kreisten über uns und schrien die Dämmerung an. Ich fragte mich, wo sie herkamen. Der Chief hatte gesagt, es gäbe nirgendwo Land in der Nähe. In der Nacht hatten wir keines gesehen – keine Lichter am Horizont. Anscheinend hatten die Vögel vor dem Sturm Schutz gesucht. Doch jetzt waren sie da, als würden sie einfach aus den Wolken materialisieren.
    Wir stellten den Motor wieder ab, um Sprit zu sparen, und begannen erneut zu rudern. Seufzend starrte ich aufs Meer hinaus. Ich fühlte mich beschissen. Ich war erschöpft, verdreckt und hatte Muskelkater. Meine Ohren fühlten sich an, als wären sie mit Watte verstopft, was wohl all die Schüsse in nächster Nähe verursacht hatten. Meine Kleider waren durchnässt. Getrocknetes Salz verklebte meine Lippen und Augenwinkel. Der Wind rieb über meine Haut wie Sandpapier. Während ich ruderte, ignorierte ich die Proteste in Armen und Rücken und konzentrierte mich stattdessen auf das Meer. Es sah völlig anders aus
als in der Nacht. Das Wasser war wunderschön. Der hypnotische Rhythmus der schaumgekrönten Wellen wirkte beinahe einschläfernd. Für einen Moment hörte ich auf zu rudern und rieb mir die blutunterlaufenen Augen. Sie waren trocken und verklebt. Ich hielt sie geschlossen, und mein Atem wurde ruhiger. Ich fühlte mich entspannt. Friedvoll. Dann klatschte eine kleine Welle sanft gegen das Boot und brach den Zauber. Ich schüttelte den Kopf, ruderte weiter und zwang mich, wach zu bleiben. Die Wasseroberfläche sah aus wie die oberste Lage eines Geburtstagskuchens – weich und flach, nur von kleinen, spitzen Wellen durchbrochen. In der Tiefe wechselte das Blau zu Grau und Grün, dann zu Schwarz. Es sah unendlich aus. Da unten bewegte sich nichts. Ich wollte über die Kante springen und einfach bis zum Boden sinken, den ganzen Dreck von meinem Körper waschen – eine Taufe.
    Der Chief starrte ebenfalls in die Tiefe.
    »Wir müssten uns direkt über der Ethel C. befinden.«
    »Was ist das?«, fragte Malik.
    Der Chief schnaubte ein wenig getrocknetes Blut aus seiner Nase, dann erklärte er uns:
    »Die Ethel C. war ein libanesischer Frachter. Das ist ein Schiff, mit dem Ladung von einem Ort zum anderen gebracht wird. Sie ist im April 1960 hier gesunken. Sie verließ New York mit Kurs aufs Mittelmeer, eine Ladung Alteisen an Bord. Historiker glauben, dass die Ladung sich verschoben haben muss
und so ihren Rumpf beschädigt hat. Die Berichte einiger Überlebender deuten so etwas an. Andere sagen was anderes. Was auch immer die Ursache war, die Pumpen konnten das einbrechende Wasser nicht mehr schnell genug abpumpen, und sie sank. Sie haben es nicht einmal mehr geschafft, einen Notruf abzusetzen. Laut den Berichten ist sie sehr schnell versunken.«
    Malik rutschte näher zu ihm. »Schneller als die Spratling?«
    Der Chief nickte traurig. »Viel schneller, aber trotzdem hat die Mannschaft es geschafft,

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