Totes Meer
bewegt.«
Ich spähte in die Dunkelheit. »Ich sehe nichts. Was war es?«
»Weiß ich nicht. Etwas ist aus dem Wasser gesprungen und dann wieder verschwunden.«
»Vielleicht war es nur eine große Welle«, schlug Carol vor. Am Ton ihrer Stimme erkannte ich, dass sie selbst nicht daran glaubte.
Ein Donner zerriss den Nachthimmel und übertönte den heulenden Wind.
Ich wandte mich wieder an den Chief: »Können Sie rudern?«
Er nickte. »Ja, ich glaube schon.«
»Okay. Ich denke, wir sollten von hier verschwinden.« Ich setzte mich im Schneidersitz auf die Bank, um die Füße aus dem verseuchten Wasser zu halten, und griff nach einem Ruder. »Alle setzen sich hin. Versucht, von dem Wasser weg zu bleiben. Wenn wir Glück haben, erwischen uns noch ein paar große Wellen und spülen diesen Dreck hier raus. Dann können wir wieder abschöpfen. Carol, bist du fit genug, um Wache zu halten?«
»Ja. Ich glaube, selbst wenn ich wollte, könnte ich jetzt nicht schlafen.«
»Okay, du hältst Wache. Tasha, ich möchte, dass du das Gewehr nimmst. Aber sieh nach, ob Blut dran ist.«
Sie nickte.
»Hey«, beschwerte sich Malik. »Was ist mit mir? Warum kriege ich nie irgendwas?«
Ich musste lächeln. »Du bekommst das zweite Gewehr. Aber wenn du es abfeuern musst, sei vorsichtig.«
»Warum?«
»Weil es dich über Bord schleudern könnte, und das können wir gar nicht gebrauchen.«
Er schaute zu der Stelle, an der Runkle verschwunden war.
»Nein«, sagte er dann. »Bestimmt nicht.«
Wir nahmen unsere Plätze ein. Carol starrte auf das Meer hinaus. Der Chief und ich begannen zu rudern. Die Kinder hielten ihre Waffen bereit, die Läufe unter einer Plastikplane, die dem Wasser und dem Blut entgangen war. Wir redeten nicht. Das GPS piepste jämmerlich. Chief Maxey schaute darauf und prüfte unsere Koordinaten.
»Sind wir noch auf Kurs, Chief?«
»Sind wir«, bestätigte er, »und bitte nennt mich Wade. Ich habe kein Schiff mehr, auf dem ich Chief sein könnte.«
Ich nickte. »Okay... Wade.«
Wieder grollte der Donner. Dann erlosch der Leuchtstab und tauchte uns in Dunkelheit.
In dieser Dunkelheit bewegte sich etwas. Es verursachte ein platschendes Geräusch direkt an Steuerbord. Was auch immer es war, es hörte sich groß an.
»Chief«, flüsterte ich. »Verzeihung – ich meine, Wade. Vielleicht sollten wir den Motor anwerfen.«
Ein Blitz zuckte, und ich sah, wie er zustimmend nickte. Chief Maxey griff hinter sich und holte tief
Luft. Wieder hallte ein Platschen über das Wasser, diesmal am Heck. Irgendwas schlug von unten gegen den Rumpf. Wir konnten es riechen – verfaulter Fisch. Totes, das noch schwamm. Dann erwachte der Motor zum Leben. Chief Maxey drehte voll auf, und wir rasten in die Nacht.
Die platschenden Geräusche folgten uns lange, bevor sie leiser wurden und verschwanden.
Als ich zurückblickte, sah ich nur Dunkelheit.
DREIZEHN
E inige Stunden später legte sich endlich der Sturm.
Letzte Blitze zuckten und leiser Donner grollte, dann war alles vorbei. Bis dahin hatten wir nichts mehr im Wasser gesehen, weder über der Oberfläche noch darunter. Vielleicht hielt das Wetter die Kreaturen fern, oder unter den Wellen fand ein Krieg statt, und sie waren zu sehr damit beschäftigt, sich gegenseitig zu fressen, um sich mit uns abzugeben. Eine Wiederholung dessen, was in unseren Städten stattgefunden hatte, eine Schlacht zwischen den Lebenden und den Toten, die nun im Meer so ausgetragen wurde wie an Land.
Der Himmel klarte auf, und wir hatten wieder bessere Sicht. Zwar war die Sonne noch nicht aufgegangen, aber die ersten Strahlen waren als rotes Glühen am Horizont zu erkennen. Ich wünschte mir, die Sonne würde ihren faulen Hintern ein wenig schneller hochschwingen. Wir waren alle fünf durchgefroren und zitterten, nass bis auf die Haut durch Regen und Wellen. Den Kindern liefen die Nasen. Der Chief – auch wenn er uns gebeten hatte, ihn Wade zu nennen, war er in Gedanken für mich immer noch Chief Maxey – hatte sich einen schlimmen Husten
eingefangen. Er klang wie eine Gans. Jedes Mal, wenn er hustete, bebte sein ganzer Körper. Seine gebrochene Nase war auf die Größe eines Golfballs angeschwollen, und wenn er sprach, klang es, als hätte er eine schwere Erkältung.
Der Sturm hatte uns die ganze Nacht durchgepeitscht. Zum Glück war das Rettungsboot nicht gesunken. Meine Vermutung, dass die Wellen das Blut ins Meer spülen würden, hatte sich als richtig erwiesen. Nach einer halben Stunde
Weitere Kostenlose Bücher