Totes Zebra zugelaufen
nicht aus, oder? Ich meine, daß Sie einer anderen Welt angehören.«
»Es gibt manchmal Ärger, aber nicht unter meinen Kollegen. In den letzten Jahren war auch ein Fortschritt zu verzeichnen. Mußten Sie sich schon von oben herab ansehen lassen, weil Sie zu den Nudisten gehören?«
»Eine Zeitlang ja, als ich noch zur Schule ging. Aber jetzt nicht mehr so sehr. Die Menschen lernen dazu.«
»Das glaube ich auch.«
»Wir veranstalten hier demnächst eine Party«, erzählte Linda. »Abends ... in Kleidern natürlich. Wir würden uns alle sehr freuen, wenn Sie kämen.«
»Vielleicht«, antwortete Tibbs. »Unter der Bedingung, daß eine Freundin mitbringen darf. Das verstehen Sie wohl?« »Ja, Virgil, natürlich. Aber wenn Sie kommen, fordern Sie mich dann auch mal auf?«
»Wenn es hier so üblich ist, Linda, ja. Sehr gern sogar. An einem anderen Ort würde ich das nicht tun, weil es ...«
»Verfrüht wäre?« fragte Linda.
»Danke. Genau das. Sie würden auch nicht unbekleidet durch die Straßen von San Bernardino spazieren.«
»Bestimmt nicht.«
»Aber vielleicht erleben wir noch die Zeit, daß es sich ein- bürgert, unbekleidet am Strand zu erscheinen.«
»Ganz sicher«, meinte Linda. »Aber ich verstehe schon, was Sie meinen. Ich möchte mich mit Ihnen verabreden. Ich schlage vor, wir feiern gemeinsam die fünfundzwanzigste Wiederkehr des Tages, an dem Sie den Mörder fassen. Dann wird vieles anders sein.«
»Bestimmt. Sie werden eine brave Ehefrau sein, und vielleicht bin auch ich dann verheiratet.«
»Das will ich doch hoffen. Wiedersehen, Virgil.«
»Auf Wiedersehen, Linda.«
Er fuhr an.
10
Die Telefonnummer Walter McCormacks, des Generaldirektors der Roussel Rights Inc, stand nicht im Buch. Tibbs brauchte zusätzliche Zeit, um die Verbindung zum Haus des Millionärs herzustellen. Als er schließlich durchkam, meldete sich ein wenig entgegenkommender Angestellter.
»Mr. McCormack ist zu beschäftigt, um Besuche zu empfangen«, wurde Tibbs erklärt.
»Ich habe mich offenbar nicht klar ausgedrückt«, versetzte Tibbs. »Ich rufe in einer Polizeisache an. Ich führe die Ermittlungen in einer sehr ernsten Angelegenheit, die Mr. McCormack zumindest indirekt betrifft. Es ist außerordentlich wichtig, daß ich ihn so bald wie möglich spreche.«
Wenn seine Worte irgendeine Wirkung hatten, so war das jedenfalls nicht zu hören. »Mr. McCormack ist beschäftigt. Wenn es sich um rechtliche Angelegenheiten handelt, wenden Sie sich am besten an seinen Anwalt, Mr. Michael Wolfram.«
Die Verbindung wurde unterbrochen.
Ziemlich verärgert schlug Tibbs das Telefonbuch wieder auf und rief den Anwalt an. Es war ihm fast noch nie passiert, daß jemand, der noch dazu damit rechnen mußte, unter Verdacht zu stehen, den amtlichen Besuch eines Polizeibeamten abgelehnt hatte. Als sich Wolframs Sekretärin meldete, war Tibbs ganz unbeabsichtigt recht kurz mit ihr. Wenige Sekunden später wurde er mit dem Anwalt verbunden und erklärte ihm sein Anliegen.
»Mr. Tibbs, es geht allen so. Bitte, nehmen Sie es ihm nicht übel. Mr. McCormack lebt sehr zurückgezogen und ganz nach seiner Fasson«, erklärte der Anwalt. »Er empfängt fast überhaupt keine Besucher. Ich verbringe einen großen Teil meiner Zeit damit, Leute zu beschwichtigen, denen das gleiche widerfahren ist wie Ihnen. Wenn Sie ihn überraschend aufsuchen, dann läßt er Sie vielleicht vor, doch ich bezweifle es stark.«
»Und wie soll ich es Ihrer Meinung nach schaffen, zu ihm vorzudringen?« fragte Tibbs. »Ich muß ihn sprechen, und zwar so schnell wie möglich.«
»Sie könnten ihm schreiben. Er liest all seine Post und tut dann das, was er für richtig hält. Mit einer Woche Wartezeit müssen Sie allerdings rechnen. Mr. McCormack läßt sich nicht gern drängen.«
»Könnten Sie nicht in Ihrer Eigenschaft als sein Rechtsberater hei ihm anrufen und ihm klarmachen, daß mein Besuch von größter Wichtigkeit für ihn ist?«
»Mr. Tibbs, das hätte gar keinen Sinn. Er hat mir konkrete Anweisungen gegeben, das zu unterlassen. Ich glaube wirklich, es wäre am besten, wenn Sie ihm schrieben.«
In Tibbs kochte es. Er verließ sein Büro und fuhr westwärts, in Richtung Malibu. Die Fahrt war lang, und im hektischen Verkehr auf der Schnellstraße mußte er sich zusammennehmen, um sich nicht von seinem Zorn zu Unüberlegtheiten hinreißen zu lassen. Zur Ablenkung schaltete er das Radio ein und hörte sich ein Baseballspiel an. Als er die Küstenstraße
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