Totes Zebra zugelaufen
hingegeben, und zwang sieb, in die Wirklichkeit zurückzukehren. Neben einer Telefonzelle hielt er an und suchte die Nummer von William Holt-Rymers, einem der vier überlebenden Teilhaber der Roussel Inc., heraus.
Er meldete sich fast sofort. »Bill Rymers«, sagte er sachlich, doch ohne Härte.
Tibbs nannte seinen Namen und erläuterte kurz sein Anliegen.
»Wo sind Sie jetzt?« fragte Rymers.
Tibbs erklärte es ihm.
»Kommen Sie doch gleich. Es ist leicht zu finden.«
Tibbs stieg wieder ins Auto. Er passierte Santa Monica und erreichte dann Venice, einen weniger eindrucksvollen Ort.
Anderthalb Kilometer vor dem Pacific-Ocean-Rummelplatz entdeckte er das Haus, das er suchte. Es lag nahe am Strand und war klein und etwas heruntergekommen zwischen zwei ähnlichen Behausungen eingequetscht. Ein typisches Sommerhaus am Strand, wie es üblicherweise an Urlauber vermietet wurde.
Virgil warf einen Blick auf die Nummer und stieg aus.
Der Mann, der ihm die Tür öffnete, war hochgewachsen, schlank und elastisch. Er war etwa Mitte Dreißig. Die untere Partie seines Gesichts war durch einen kurzen Bart verborgen. Tibbs schätzte ihn auf etwa einsachtzig, obwohl er größer wirkte. Sein bloßer Oberkörper war muskulös und tief gebräunt. Er trug Bermuda-Shorts und Ledersandalen. Um seine Schultern lag ein Handtuch, als wäre er eben aus dem Wasser gestiegen.
»Tibbs?« fragte er ohne Förmlichkeit.
Ehe Tibbs antworten konnte, schüttelte er ihm kurz und kräftig die Hand und trat dann zur Seite, um seinen Gast einzulassen. Sein ganzes Auftreten verriet ebenso wie die Einrichtung des Zimmers, daß er von steifer Förmlichkeit nichts hielt. Die Möbel waren einfach, recht abgenützt sogar, aber offensichtlich mit Bedacht zusammengestellt — ausgewählt von einem Mann, der wußte, was er wollte. Die Wände waren in vier verschiedenen Farben gestrichen und wirkten trotz ihrer Lebhaftigkeit harmonisch. Das Licht drang durch zwei Fenster, deren Jalousien zur Hälfte heruntergelassen waren. An den Wänden hingen drei ungerahmte Reproduktionen von Gauguin und mehrere Ölgemälde, ebenfalls ohne Rahmen. Die weißen Ränder der Leinwand hoben sich plastisch von dem farbigen Untergrund der Wand ab. Das ganze Zimmer strahlte unbekümmerte Aufrichtigkeit und Männlichkeit aus und entsprach zweifellos dem Charakter des Bewohners.
Holt-Rymers deutete auf einen Sessel und sagte: »Bier?« Das Wort war zugleich Frage, Vorschlag und Kommentar zu dem heißen Tag.
Tibbs hütete sich, diesem Mann eine förmliche Antwort zu geben und darauf hinzuweisen, daß er im Dienst war. »Kalt«, sagte er nur.
Sein Gastgeber warf ihm einen zufriedenen Blick zu und öffnete einen Kühlschrank in der Zimmerecke. Er nahm zwei Büchsen Bier heraus, riß die Deckel auf und reichte eine davon Tibbs. Dann machte er es sich in einem Sessel bequem. »Schießen Sie los.«
Da die Unterhaltung bis jetzt im Telegrammstil geführt worden war, hätte Tibbs am liebsten nur mit dem Wort »Mord« geantwortet. Statt dessen trank er einen Schluck kaltes Bier und begann dann mit Zurückhaltung zu sprechen.
»Es handelt sich um einen Geschäftspartner von Ihnen — Dr. Albert Roussel.«
Holt-Rymers lehnte sich zurück und preßte die Lippen aufeinander. »Al Roussel — ein großartiger Mensch«, sagte er. Er schwieg eine Weile und fuhr dann fort: »Es war ein harter Schlag, als ich es erfuhr. Ich kann es noch immer nicht glauben. Ich hatte natürlich von dem Toten im Nudistencamp gelesen, doch es kam mir nie in den Sinn, daß es sich um Al handeln könnte. An solche Sachen denkt man einfach nicht. Und vor zehn Minuten hörte ich es dann in den Kurznachrichten.«
Er brach ab und trank aus seiner Bierbüchse.
»Sie wußten, daß er ermordet worden war?« fragte Tibbs.
»Natürlich. Ich hatte den unbekannten Toten nur nicht mit in Verbindung gebracht. Es stand nicht mal in der Morgenzeitung. Ich kann einfach nicht verstehen, wer es fertigbrachte, einen so feinen Menschen wie Al zu töten. Er hatte keine Feinde.«
»Doch, einen.«
»Klar. Aber ich kann es nicht fassen.«
»Kannten Sie ihn gut?« erkundigte sich Tibbs.
»Sehr gut. Vielleicht sollte ich etwas ausholen. Kennen Sie meinen Beruf?«
Tibbs wies mit dem Kopf auf die gegenüberliegende Wand. »Wenn diese Gemälde von Ihnen stammen, dann sind Sie Künstler.«
Holt-Rymers nickte. »Nett gesagt, danke. Sie haben recht, ich male. Meine Bilder verkaufen sich sogar. So gut, daß bei dem Händler, der
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