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Totgeburt

Totgeburt

Titel: Totgeburt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam E. Maas
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Heute pantschten alle wild drauf los, weil das Gewissen keine Rolle spielte, wenn es um den Profit ging. Oh ja, die Welt wurde vom schnöden Mammon beherrscht.
    Sebastian war überhaupt kein richtiger Junkie, zumindest nicht im herkömmlichen Sinn. Er war nach keinem einzigen Stoff süchtig, nicht nach Heroin, Kokain, Amphetaminen, Haschisch oder Alkohol. Wenn eine Droge nicht zu beschaffen war, gab er sich mit einer anderen zufrieden. Er brauchte sich lediglich dem Markt anzupassen und zu kaufen, was gerade im Angebot war. Hauptsache, er konnte sich irgendwie ruhig stellen, sich davon ablenken, dass die Welt so stank, vor allem aber, dass er so stank.
    Die Drogen waren überhaupt nicht sein Problem, nein, er war das Problem. Das Zeug half ihm sogar, es legte einen Schalter um, der sich irgendwo in seinem Kopf befand und an den er selbst nicht herankommen konnte. Einmal umgelegt, lagen all die Ängste und Sorgen auf Eis. Er hatte nie gelernt den Schalter selbst zu bedienen, wenn so etwas überhaupt möglich war.
    OK, zugegeben, er war abhängig.
    An dem Abend als er Tina kennengelernt hatte, hatte er schon länger nichts mehr in die Hände bekommen und war wieder schräg drauf gewesen — ein Glück, dass sie das nicht gemerkt hatte. Es begann immer recht harmlos, erst wurde er unruhig, da half es noch in Bewegung zu bleiben. Später fing er jedoch an, an sich herumzunörgeln. Entweder störte ihn seine Stimme oder ihn ärgerte die Art, wie er ging. Dann begann er sich schleichend zu bewegen, was den Leuten leider unheimlich war. Die Leute, sie wussten nicht, dass sie keinen Grund hatten, sich vor ihm zu fürchten. Vielmehr hatte er vor ihnen Angst. Wie auch immer, er gönnte sich keine Pause mehr und das ging so lange, bis er wieder den Schalter umlegen konnte.
    War er nicht high, drohte er vor Selbsthass zu zergehen. Dann musste er unbedingt aufpassen, an keinem Spiegel vorbeizugehen und falls doch, durfte er nicht hineinsehen. In einen Spiegel zu sehen war wie sich selbst unter einer Lupe zu betrachten. Lag er einmal unter der Lupe, war es sinnlos sich länger zu wehren. ‚Hässlicher Sebastian‘, bestätigte der Blick durch die Lupe ihn.
    Es war nicht immer so gewesen, in der Schule hatten die Mädchen ihn gemocht. Wirklich, er hatte zu den gutaussehenden Jungs gezählt. Damals hatte er sich die Sache nicht so recht erklären können. Doch es war so gewesen, ganz sicher, sie hatten ihn gemocht. Es hatte wohl eine Zeit lang gedauert, bis die Leute — jeder einzelne von ihnen, weltweit? — es begriffen hatten. Jedenfalls drehte sich heute niemand mehr nach ihm um und wenn sie es doch taten, stand ihnen der Ekel ins Gesicht geschrieben. Und ein flüchtiger Blick in den Spiegel reichte aus, um zu wissen, warum sie ihn so angewidert ansahen! Er wirkte unecht, künstlich wie eine Comic Figur. Seine Nase war zu lang, seine Lippen zu schmal, nirgends stimmten die Proportionen. Und diese Augen! Sie waren am Schlimmsten. Sie waren leer. Da steckte nichts dahinter. Es waren die Augen eines Fremden, nicht seine. Deswegen war es lebenswichtig, reflektierende Gegenstände zu meiden.
    Soviel zur Theorie. Es war nämlich nahezu unmöglich, seinen Reflexionen aus dem Weg zu gehen in einer Stadt wie Berlin, die dermaßen süchtig nach dem Glanz und dem Schein war und die der Eitelkeit völlig verfallen war. Wie sollte er denn den zahllosen Schaufenstern und Autos ausweichen? Unmöglich! Nur der ständige Blick zu Boden konnte daher sein überleben sichern. Ruhe fand er allein in den Grünanlagen oder umringt vom Beton der Tiefgaragen und Treppenhäuser und den Drogen natürlich. Ein Trip war wie ein Kurzurlaub, Urlaub von sich selbst, den er so bitter nötig hatte.
    Wenn es nur nicht das Problem gegeben hätte, das Geld zu beschaffen! Es machte ihn krank, wenn er daran dachte, was er alles getan hatte und wieder tun würde. Hässlicher Sebastian! Wie gesagt, die Drogen waren nicht das Problem, er war das Problem.
    Leider hatte das Fieber genau die entgegengesetzte Wirkung eines Trips. Es ließ ihn in den Abgrund blicken und dort sah er die Dunkelheit, die auf ihn wartete. Er drohte hinabzufallen in den schaurigen Schlund seiner Selbst, wo er für den Rest seines Lebens gefangen sein würde. Dort in der Finsternis würde jede Sekunde Höllenqualen bedeuten.
    Noch drohte das Fieber nur. Es ließ ihn nicht fallen, es ließ ihn baumeln, hielt ihn zurück.
    Er hatte es schon immer gespürt, aber dieses Mal war es anders, so viel

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