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Totgeburt

Totgeburt

Titel: Totgeburt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam E. Maas
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intensiver. Die Worte vibrierten förmlich durch seinen Körper: „Die Welt hasst dich, du bist schlecht. Die Welt fordert deinen Tod!“
    Sie wollte ihm nicht verzeihen, seine Geburt war ein widernatürlicher Akt der Sünde gewesen. Sie konnte sich einfach nicht an seine Anwesenheit gewöhnen. Dieses Mal musste Sebastian gehorchen und die Welt endgültig verlassen. Würde er sich ihrem Willen nicht unterwerfen — da war der Abgrund, die Drohung.
    Sebastian durchlebte sein jämmerliches Leben, bekam das ungekürzte Worst-of geboten, die Schule, den bösen Onkel, der ihn damals … der Abgrund, wenn er in den Abgrund fiel, es wäre wie jetzt, wie das Fieber, nein, abscheulicher noch!
    War es wirklich so schlimm? War der Tod nicht der ultimative Urlaub? Sein einziger Freund? Nichts auf der Welt konnte ihm bieten, was der Tod versprach. Der Tod war das Land ohne Gedanken, ohne Qualen. Kein schlechtes Gewissen mehr, keine Ängste! Das Jenseits wartete auf ihn, die Weiten absoluter Bewusstlosigkeit riefen ihn.
    Sobald der schöne Engel ihn vor die Tür setzte, würde er es tun, denn da draußen lauerte der Schlund, die irdische Hölle … Zähne wie Messer würden ihn zerfleischen, falls er sich wieder wehrte.
    Der Engel aus dem Park. Tina. Sie hatte blaue Augen, goldenes Haar. Wundervoller Engel, ein Geschenk des Himmels. Sie war da für ihn. Sie hatte ihn gerettet!
    Nein! Er konnte nicht weglaufen, das musste er endlich einsehen. Der Schlund war überall. Hier in dieser Stadt, in jeder anderen Stadt, daheim, einfach überall, wohin er laufen würde. Der Abgrund war nämlich in ihm drin.
    „Ich will nicht mehr“, schrie er in den Schlund, dessen heißer Atem ihm entgegenblies, um seinen Körper erneut in Brand zu stecken. Sein Atem war das Fieber.
    „Ich werde mich töten!“, schrie er. „Versprochen!“
    Da schloss sich der Schlund, er nahm ihn beim Wort.
    Sebastian öffnete seine Augen und sah in ihr Gesicht, die Frau aus dem Park — „Tina“, hieß sie — blickte wiederum in dessen Gesicht, als ob sie tief hinter seine Augen blicken könne, um in dessen Seele zu lesen. Sie wischte seine heiße Stirn mit einem feuchten Tuch ab.
    „Du hast schlecht geträumt, Schatz. Träume sind nichts. Sie lügen uns an. Hab keine Angst. Schlaf nun weiter.“
    Er schloss seine Augen und später fing sie an zu singen:
    „Twinkle, twinkle, little star, How I wonder what you are. Up above the world so high, Like a diamond in the sky. When the blazing sun is gone, When he nothing shines upon, Then you show your little light, Twinkle, twinkle, all the night.“
    Ihm wurde eiskalt bei dem Gedanken, wieder da raus gehen zu müssen. Er gehörte nicht dorthin. Sie war stark. Sie konnte vielleicht … er schlief, wie sie es gewollt hatte.
    ***
    Sie war gut zu ihm, sie gab ihm zu essen und zu trinken und manchmal sogar die Fernbedienung, aber nur kurz, denn sie hielt es nicht lange aus, ihm beim zappen zuzusehen. Er war ihr nicht schnell genug, sagte sie. Ihr reichte dagegen oft ein Bild oder ein Wort, um zu wissen, dass sie die Sendung nicht sehen mochte. Das gefiel ihm an ihr, sie konnte Entscheidungen treffen.
    Sie war richtig gierig nach den bewegten Bildern. Wahrscheinlich war es ihre Art, sich von der Welt da draußen fernzuhalten, ohne völlig den Kontakt zu ihr zu verlieren. Das ganze Wohnzimmer war auf das flimmernde Ding ausgerichtet. Sie hatte einen riesigen Fernseher, Flachbildschirm, Kinosound und garantiert tausende von DVDs. Eigentlich sah sie weniger fern, als dass sie von ihrer Filmsammlung Gebrauch machte. Das Fernsehprogramm diente nur als Lückenfüller.
    Sie verlor kein Wort über die Nacht, in der sie ihn beruhigt hatte. Tina war die Sache bestimmt peinlich, es war ja auch ein intimer Moment gewesen. Sie hatte für ihn gesungen, auf Englisch? Sie steckte voller Überraschungen. Tina war wie Medizin für ihn, sie machte ihn den Abgrund vergessen.
    Sie war irgendwie seltsam. Was genau ihn an Tina störte, konnte er allerdings nicht sagen. Was konnte er überhaupt über einen Menschen sagen, den er gerade erst kennengelernt hatte? Die Hälfte der Zeit hatte er sowieso geschlafen. Aus irgendeinem Grund kümmerte sie sich um ihn. Sie hatte Angst gehabt, er würde im Park verrecken, hatte sie mal gemeint.
    Hatte sie nun Angst um ihn gehabt oder Angst vor den Konsequenzen? Man wollte ja nichts mit den Behörden zu tun haben. Der Staat machte einem immer Probleme. Beamte stellten dauernd lästige Fragen, vor allem wenn

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