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Totgeburt

Totgeburt

Titel: Totgeburt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam E. Maas
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um eine verschlossene Tür vorzufinden? Das war die Frage, die Angst, die ihn an die Wohnung fesselte und die Angst, die ihn draußen marterte. Deswegen beeilte er sich, wenn er einkaufen ging, joggte so weit wie möglich, solange bis er Stiche in der Seite spürte. Sie durfte keine Zeit haben, sich an seine Abwesenheit zu gewöhnen und auf dumme Gedanken zu kommen. Ab jetzt zählte nur noch, was sie tat und wollte.

V
    Sie lag in seinen Armen und zog an einem Joint.
    „Hey, mir ist langweilig“, sagte sie.
    „Echt?“
    Am liebsten wäre er eingeschlafen, das Denken fiel ihm schwer.
    „Äh, ja. Sonst hätte ich es ja nicht gesagt.“
    Leider war sie hellwach. Wo nahm sie nur die Kraft her?
    „OK“, sagte er und versuchte sich zusammenzureißen. „Mach doch eine DVD an.“
    „Nein. Keine Lust.“
    „Du wolltest doch den animierten Film da sehen … den über den Fisch.“
    „Bitte? Was für ein Fisch? Ach so, der mit der behinderten Flosse! Nein keine Lust“, sagte sie.
    „Willst du nicht schlafen? Bin voll müde.“
    „Schlaf ruhig. Ich geh ins Internet.“
    Sie stand auf und holte ihr Notebook hervor. Erleichtert, drehte Sebastian sich auf die Seite. Hinter seinem Rücken hörte er das rhythmische Hämmern ihrer Finger auf der Tastatur. Kurze Zeit später war er eingeschlafen.
    ***
    Marie loggte sich in den Account ein. Der Doktor wollte sich online bei ihr melden, hatte er in einer SMS geschrieben. Natürlich würde er sie warten lassen. Ha, undenkbar, sie würde sich das wagen! Sie war eine einfache Soldatin, während er das Genie spielte.
    Wie hatte der Doktor es nur geschafft, in diese Position zu gelangen? Er war schon lange dabei, sie schätzte, dass er im frühen zwanzigsten Jahrhundert beigetreten war. Er hatte nämlich diese schrecklich verstaubte Art an sich, irgendwie preußisch. Er war steif wie ein Brett, lachte nie und verbrachte sein Leben eingezwängt in dem kleinen Labor. Es war grausam ihm zuzuhören, weil er das R so seltsam aussprach, wie die Leute aus den Dokus über die gute, alte Zeit.
    Zwischen den beiden lagen Welten. Ihre Generation, die Blumenkinder, traute den Alten nicht über den Weg. Ihre Generation? Die war nun selbst reif fürs Grab.
    Sie hatte mal mit der Idee gespielt, die Archive nach ihm zu durchsuchen. Sie war überzeugt davon, ihn auf alten Fotos wiederentdecken zu können. Aber es wäre zu viel Arbeit gewesen und was wäre schon dabei herausgekommen?
    Obwohl sie den Alten hasste, musste sie zugeben, dass er etwas Faszinierendes an sich hatte. Er war einer der wenigen, die trotz ihres fortgeschrittenen Alters noch rekrutiert worden waren. Er musste schon immer ein zäher Hund gewesen sein, denn Greise waren in der Regel zu schwach, um das Ritual zu überleben. Daher fanden sich fast ausschließlich junge Gesichter in ihren Reihen.
    Das Aussehen sagte indessen nicht das Geringste über das wahre Alter aus. Nach dem Ritual stellte sich nämlich der Alterungsprozess ein, die Zeit stand still. Allein das Personalbüro entschied, wie viel Zeit einem vergönnt wurde und nicht das Methusalem-Gen.
    Niemand wusste, wie sie entschieden, sicherlich nach dem Leistungsprinzip. Aber wie wurde die Leistung bewertet? Heutzutage könnte die Entscheidung sicherlich computergestützt getroffen werden. Ob sogar das Personalbüro irgendwann ersetzt werden würde?
    Maries Gedanken wanderten zum Spieler. Sie war schon lange genug dabei, um zu wissen, dass Köpfe rollten, sobald er sich einmischte. Während das Personalbüro eine mehr oder weniger greifbare Institution war, mit der man direkt in Kontakt treten konnte, sie entschieden zum Beispiel über Versetzung und Einsatzort der Geschwister, stand der Spieler über den Dingen.
    Wenn der Name des Spielers fiel, konnte man spüren, wie die Leute sich veränderten. Sie wurden ernst, wollten sich von ihrer besten Seite zeigen und beweisen, dass sie noch von Nutzen waren.
    Strenggenommen war es nicht schlimm, in den Ruhestand versetzt zu werden, denn sie alle hatten einen Pakt geschlossen und Vater würde jedes seiner Kinder bei sich aufnehmen. Deswegen liebten sie ihn. Und es war eben diese Liebe, die den Wettstreit unter den Geschwistern anfachte. Jeder kämpfte um die Gunst Vaters und buhlte um seine Aufmerksamkeit. Wer abkommandiert wurde, wurde nicht mehr gebraucht und wer nicht mehr gebraucht wurde, war ein Versager. Marie durfte Vater nicht enttäuschen. Ihr wurde klamm ums Herz. Vater gab nicht mehr her, was ihm gehörte. So lautete

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