Totgeburt
Moment? Nein, den gab es nicht.
Das Wasser der Regenwalddusche plätscherte weiter vor sich hin. Am Liebsten wäre er wortlos verschwunden. Er ging einen Schritt auf die Ausgangstür zu. Aber das wäre respektlos gewesen, er wollte sich persönlich verabschieden.
Er ging zur Couch zurück. Sobald sie aus dem Badezimmer kam, würde er ihr seine Entscheidung mitteilen.
Sebastian wollte sich gerade schon hinsetzen, hielt sich jedoch davon ab. Er durfte es sich jetzt nicht zu bequem machen. Nervös zupfte er am Ärmel seines Hemds. Es war das Hemd vom „Ex“, korrigierte er sich, was er lauter sagte als gewollt. Sein Blick schnellte zum Badezimmer. Kein Grund zur Sorge, sagte er sich. Sie konnte ihn unmöglich gehört haben.
Das Kleidungsstück war ihm zu groß und er kam sich unsagbar klein darin vor. Dabei wäre er so gerne selbstsicher aufgetreten wie der Held aus einem ihrer Filme.
„Kleiner Mann, was tust du hier?“, versuchte das Wispern die Stille zu füllen.
Wie sollte er es ihr sagen? Wahrscheinlich war es egal. Ja, genau, sie würde ihm entgegenkommen. Bestimmt war sie zu höflich gewesen, ihn vor die Tür zu setzen.
Er suchte noch immer nach den passenden Worten, als sie auf einmal das Zimmer betrat. War er zu beschäftigt gewesen, um zu merken, dass das Wasser nicht mehr lief? Nein, denn es lief noch.
Nur in ein Handtuch gehüllt, hüpfte sie singend umher, grüßte ihn beiläufig und verschwand in der Küche. Darauf war er nicht vorbereitet gewesen, sie halb nackt zu sehen. Normalerweise kam sie doch angezogen aus dem Bad heraus, wieso nicht heute?
Sie war so vergnügt, wirkte so verwundbar. Es half nichts, die Luft war raus. Er fluchte kurz und ließ sich auf die Couch fallen. Als er den Fehler bemerkte, rückte er zur Ecke auf, ganz an den Rand, um wenigstens ein bisschen von der Aufbruchstimmung beizubehalten.
Er hörte das Klirren von Gläsern und Eiswürfeln.
Sebastian faltete die Hände zusammen, sah nach oben und flehte die Welt an, sie möge ihm verzeihen. Mit geschlossen Augen horchte er auf eine Antwort. Es kam keine Antwort. Er wusste, er hatte es versprochen und war nun dabei dieses Versprechen zu brechen. Es war zu spät. Die Entscheidungen würden nun ohne ihn getroffen werden. Irgendwo dort draußen würde er krepieren, denn die Welt hatte endgültig genug von ihm.
‚Hässlicher Sebastian‘, sagte die Stimme in seinem Kopf.
„Hässlich“, sprach er ihr nach.
„Hast du was gesagt?“, fragte sie, als sie aus der Küche kam.
Sie hielt zwei Gläser in den Händen und streckte ihm eines entgegen. Das war noch nie vorgekommen, für gewöhnlich trank sie alleine. Das Handtuch war noch ein Stückchen weiter nach unten gerutscht und verdeckte ihren Busen nur noch notdürftig. Das war wohl beim Tanzen passiert. Er starrte auf ihre nackte Haut. Busen waren der Inbegriff des Lebens. Sie war ein Engel, zu gut für diese Welt!
„Was? Ehm, ja. Ich wollte nur sagen, dass ich schon lange genug auf deine Kosten gelebt habe. Und ich müsste so langsam mal nach Hause. Meine Wohnung, weißt du. Will mal nach dem Rechten sehen.“
Sie hatte die Gläser abgestellt und hörte ihm nun aufmerksam zu. Hierbei spielten ihre Hände am Handtuch herum. Er wünschte sich, sie wäre sich bewusst, was für eine Wirkung sie auf Männer hatte — und er war ein Mann! Egal wie kaputt er ansonsten sein mochte. Er versuchte angestrengt, nicht hinzusehen.
„Deine Wohnung?“, fragte sie ungläubig. „Du hast doch gar keine Wohnung.“
„Ääh, doch, klar“, stammelte er.
„Äh, nein, Blödsinn. Im Taxi hast du dich verplappert. Weißt du? Und was für ein Zuhause, meinst du? Wartet irgendwo jemand auf dich?“
Ihr Tonfall war nicht schroff, es amüsierte sie eher. Genau, sie machte sich gerade über ihn lustig!
„Ich bin kein Schmarotzer.“
„Oh, doch. Du bist sogar ein Penner-Schmarotzer.“
„Ich zahle dir so schnell wie möglich —“
Er blickte auf den Boden und zupfte nervös am Ärmel. Er wollte sie nicht ansehen, denn heiße Tränen sammelten sich in seinen Augen. Was war los mit ihm? Wo war sein Stolz? Wie konnte er jetzt nur weinen? Gleich würde sie ihn auslachen.
‚Kleiner dummer Mann, was machst du hier?‘, fragte erneut die Stimme in seinem Kopf.
„Du hast Recht. Ich habe keine Wohnung. Ich kann bestimmt Geld auftreiben. Ich muss nur —“
Langsam kam sie näher.
„Na, was musst du? Ich habe mich geschlagene zwei Wochen um dich gekümmert. Wenigstens hattest du
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