Totgeburt
fetzigerem zumute, informierte er sie und legte die wohl heißeste Scheibe seiner Sammlung ein. Zu den Klängen von Kraftwerk ging das Flirten beziehungsweise heiß machen weiter. Es ging ihr locker von der Hand. Mit spitzen Männern konnte sie gut umgehen. Anscheinend hatte sie dem Kerl zu viel zugetraut, denn es passierte nichts schräges, als sie die Beine spreizte und am Ende der kurzen Vorstellung schlief er zügig ein. Wenigstens war er besser bestückt als der Junkie.
***
Am nächsten Morgen setzte der weiße Ritter sie vor ihrer Wohnung ab und machte sich danach auf den Weg in die Praxis. Obwohl das erste Treffen nicht den gewünschten Erfolg gebracht hatte, war sie nicht bereit die Aktion abzubrechen, Honigfallen brauchten ihre Zeit.
Sebastian stand zur Zeit sowieso unter der Aufsicht des Doktors und solange er sich von der Wirkung der Substanzen erholen musste, die man ihm pausenlos verabreichte, hatte Marie freie Bahn. Tagsüber ging sie ihrer Arbeit nach, die sie wegen dem Junkie vernachlässigt hatte, und nachts traf sie den Assistenten.
Ihr Job bestand darin Geld aufzutreiben. Geld war nicht gleich Geld. Ihre Kollegen aus der Finanzindustrie setzten in der gleichen Zeit ein Vielfaches von dem um, was sie erwirtschaftete. Ihre Kollegen saßen in den Vorständen der Banken und Hedgefonds und kontrollierten damit irre Summen. Aber das Geld gehörte dem System, man konnte es nicht nach Belieben abziehen, um beispielsweise Mordanschläge oder Entführungen zu finanzieren. Seit 9 11 wurden die Kapitalströme zudem gründlicher überwacht.
Ihre Kollegen lenkten die Märkte, strickten Netze aus Abhängigkeiten und schmiedeten eine globalisierte Wirtschaft. Sie entschieden über den Kurs einer Firma, bestimmten den Weg, den sie einschlagen würde, zerstörten andere Unternehmen und brachten nicht selten ganze Volkswirtschaften ins Strudeln. Die Kuh, die ihre Kollegen mästeten, würde irgendwann in Zukunft geschlachtet werden. Bis dahin blieb sie unangetastet.
Das Geld hingegen, das Marie eintrieb, war mehr oder weniger vom Radar der Behörden verschwunden. Sie verwaltete und mehrte eine Kriegskasse, womit sich die dreckigen Aktionen realisieren ließen. Hinter jedem Schein, der durch ihre Finger glitt, steckte eine Geschichte, ein persönliches Schicksal. Das Geld kam aus dem Glücksspiel, Krediten, Drogen– und Menschenhandel und der Prostitution. Ihr Geld war Blutgeld und ihre Welt war der Wilde Westen.
Das blutige Geld floss solange durch ihre Welt, bis jemand ein Auto, eine Mikrowelle, Schmuck für seine Geliebte oder irgendetwas anderes legal erwarb. Damit verließ das Geld Maries Welt und es floss in geordnete Bahnen zurück, wurde plötzlich ‚sauber‘. Aber was war schon sauber in einer pervertierten Welt?
Anfangs hatte Marie auch an den Mythos des gereinigten Geldes geglaubt, bis Dennis ihr erzählt hatte, was wirklich passierte. Hier kam der Schokoriegel ins Spiel, ließ sich aber durch so ziemlich jedes beliebige Produkt ersetzen. Kakao kam zu neunundsechzig Prozent aus West Afrika, wo fast zwei Millionen Kinder damit beschäftigt waren, ihn anzubauen und zu ernten. Natürlich taten sie das nicht freiwillig, welches Kind arbeitete schon freiwillig? Zu den hart arbeitenden Kindern gesellten sich dann noch tausende von Kindersklaven, die keinen müden Cent für ihre Plackerei erhielten. Die Sklaverei war nämlich nur auf dem Papier abgeschafft worden und das galt höchstens im eigenen Land, nicht aber in Afrika, Südamerika oder Asien.
Die offensichtlichen Nutznießer des Systems, die reichen Fabrikanten, Bänker und Investoren waren hochangesehene Bürger der angeblich zivilisierten Welt. Auch wenn nur ein paar wenige den großen Reibach machten, waren sie noch lange nicht die einzigen Profiteure des Systems. All die kleinen Milchbauern, Logistiker, Verkäufer und Werbemacher hielten bereitwillig die Hand auf, denn sie lebten davon, dass Sklaverei aus Luxusgütern eine gewöhnliche Massenware machte. Die Gier der Menschen war maßlos. Heute kamen ganze Kinderzimmer aus Nordkorea und den Gefängnissen Kubas.
Wie kam es in einer Gesellschaft, die sich den Menschenrechten verpflichtete, zu solchen Missständen? Die Menschen hatten einen Pakt geschlossen, man fragte nicht, man sagte nichts und wenn man davon hörte, vergaß man es schnell wieder. Alle waren zufrieden, da der Schein gewahrt blieb und man ungeniert seine Gier ausleben durfte. Der Schein war wichtiger als die Wirklichkeit.
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