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Totgeburt

Totgeburt

Titel: Totgeburt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam E. Maas
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Früher hatte es noch diese nervige Sache mit dem schlechten Gewissen gegeben, das erst mit dem Outsourcing der Sklaverei vom Angesicht der Erde verschwunden war.
    Es war eine herrliche neue Welt. In jedem Kind und jedem Obdachlosen, den sogenannten schwachen Gliedern der Kette, steckte ein kleiner Massa. Schokolade ging wie eine heilige Hostie durch die Hände der Menschen und alle, wirklich alle, gingen sie zur Kommunion. Es war eine heimliche Zeremonie, ein heimlicher Schwur und niemand gab zu, dass er willentlich an der der blutigen Kommunion teilnahm. Niemand blickte auf, alle senkten den Kopf und übergaben somit ihre Seelen der ewigen Verdammnis.
    Die Macht des Schokoriegels hörte hier nicht auf, denn die billigen Kalorien sollten den Sklavenhaltern bereits im Diesseits teuer zu stehen kommen. Die Unternehmen schufen sich nämlich ein Heer dicker Kinder, die frustriert über ihren Zustand, noch mehr Schoki in sich hineinstopften. So gab es auf der einen Seite hungernde und unterjochte Kinder und auf der anderen Seite gemästete und unterjochte Kinder.
    Marie hätte es nie für möglich gehalten, dass ihre Kollegen aus der Industrie so viel Humor besaßen. Dicke Kinder, hungernde Kinder, das war wirklich zum Schießen!
    Nun zu den vermeintlichen Opfern des Systems, zu den Sklaven, denen angeblich ein Freifahrtschein ins Paradies zustand. Kein leben in Sünde, keine Höllenqualen, lautete ja die Regel. Einen solchen Schein gab es überhaupt nicht. Natürlich mussten sie die Kinder, die beispielsweise bei der Arbeit starben, als Verluste abschreiben. Doch aus Kindern wurden Männer und Frauen und aus ehemaligen Opfern konnten sehr wohl zukünftige Täter werden. Wenn niemand dazu bereit war, diese Menschen zu erlösen, mussten sie es am Ende selbst tun und dazu griffen sie zur Waffe. Kämpften sie nicht gegen die Ungerechtigkeit, wechselten sie nicht selten die Seite und wurden zu Tätern. Heute war es leichter eine Kalaschnikow zu bekommen als Gerechtigkeit einzufordern. So schaffte Unrecht Unrecht, jagte eine Sünde die andere. Es ging gar nicht um schnelle Erfolge, nein, es ging um Effektivität. Es ging darum Systeme zu erschaffen, die selbsttragend waren. Seit mehr als dreitausend Jahren arbeiteten ihre Geschwister am letzten, totalen System und ohne Geduld wären sie nie so weit gekommen. Ihre Familie spielte dem Menschen den Ball zu, bei zu viel Fremdeinwirkung hätte es nämlich zu hohe Abschreibungsraten gegeben. Niemand sollte am Ende behaupten dürfen, es sei die alleinige Schuld der Familie.
    Sie mochte Dennis, denn er hatte sich die Zeit genommen, ihr zu erklären, wie die Welt tickte — im Gegensatz zum eingebildeten Doktor. Dennis betonte immer, dass sie im selben Team spielten und es da keinen Platz für elitäres Denken gab. Sie alle seien Kinder desselben Vaters und durch ihre Adern fließe dasselbe dicke Blut.
    Dennis glaubte an sie, er meinte, sie würde eines Tages zu den ganz Großen gehören und ganz oben mitspielen. Der Doktor wisse das auch, deswegen sei er so hart zu ihr. Neid spreche aus dem alten Mann.
    ***
    Zum Glück war der Assistent ein geiler Bock, der ohne weitere romantische Diners auskam. Ihre Treffen sollten von nun an ausschließlich in seinem Haus stattfinden, einer alten Villa in einem ruhigen Vorort. Marie zeigte sich überrascht darüber, dass Steinmeier so lebte, dass er so viel Geld hatte. Was ihr am Haus und der Lage besonders gut gefiel, war, dass er keine direkten Nachbarn hatte. Es war ein alleinstehendes Haus und die Nachbarschaft legte sehr viel Wert auf Diskretion. Hohe Mauern, Bäume und Büsche schirmten die jeweiligen Grundstücke voneinander ab.
    Alter Reichtum, klärte er sie auf, als er sie auf eine Hausführung mitnahm. Überall hingen Gemälde von längst verstorbenen Clan-Mitgliedern und sie gingen das gesamte Who's Who durch: Ur-Ur-Uropa, Ur-Uropa, Uropa und blablabla. Der eine war Offizier gewesen und hatte in irgendeiner tollen Schlacht für die Ehre Preußens gekämpft, der andere war Minister, dann gab es noch Wissenschaftler und Ärzte. Er war stolz auf seine Ahnenlinie und redete, als ob sie noch lebten und irgendwo zwischen den Möbeln, Vasen und Gemälden umherirrten. Was man sich nicht alles einbilden konnte. Marie genoss seine Dummheit und schmunzelte und lachte viel, was diesem wiederum zusagte und ihn anspornte noch dicker aufzutischen. Er verstand nicht, wieso sie schmunzelte und lachte, was die Sache erst richtig witzig machte. Sie trank

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