Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Totgeburt

Totgeburt

Titel: Totgeburt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam E. Maas
Vom Netzwerk:
sich also all die abgebrannten Zocker, die gekommen waren, um den Olymp zu erklimmen, nur um am Ende die Schlucht hinabzufallen. Glitter Gulch. Ob, wer auch immer den Spitznamen erdacht hatte, insgeheim hieran anspielte? Die Stadt der Sünde, Strip, noch so ein doppeldeutiger Name … sie blieb stehen, die Menschen bewegten sich weiter. Die menschliche Herde blieb nie stehen. Sie waren ein Schwarm schwacher und austauschbarer Individuen, aber zusammengenommen waren sie eine Naturgewalt.
    Sie hatte keine Lust mehr, ihnen zuzusehen, wie sie strahlend ihrer Wege gingen und sich ihres Daseins erfreuten. Irgendwie kam es ihr vor, als hätten die Menschen das Spiel gewonnen, zumindest so als hätten sie sie persönlich besiegt. Marie war angetreten, um gegen sie zu kämpfen, sie zu richten und nun würde der ahnungslose Haufen sie überleben.
    Sie hätte ins Kino gehen können, der Streifen über den Stummfilmdarsteller lief gerade. Sie entschied sich dagegen, denn so hätte sie nur etwa drei Stunden totschlagen können und dann hätte sie die Affen aufs Neue ertragen müssen. Stattdessen kam ihr die Idee, ein Auto zu mieten, die Stadt zu verlassen und in die Wüste zu fahren.
    Sie suchte die nächstgelegene Autovermietung auf.
    Ihre Laune wurde merklich besser, nachdem sie den Mietvertrag für einen 1968 Pontiac GTO Convertible unterschrieben hatte. Ihr Ziel stand auch schon fest, es war der Valley of Fire State Park, den sie aus verschiedenen Filmen und Serien kannte.
    Eine Welt aus roten Felsen erschloss sich ihr, eine Landschaft, die sie an den Planeten Mars erinnerte. Petroglyphen, alte Steinunterschlüpfe, die Seven Sisters, der Elephant Rock — es gab nicht wirklich viele Sehenswürdigkeiten. Aber Marie war ja auch nicht hier, um Punkte auf einer Liste abzuhaken, sie hatte lediglich Ruhe gesucht.
    Sogar hier in der Wüste, wo es nichts gab, traf man diese grauenhaften Touristen und zwar scharenweise. Da war es besser gar nicht erst aus dem Auto auszusteigen, höchstens für Zigarettenpausen vor spektakulärer Kulisse.
    Autofahren entspannte sie normalerweise, aber leider herrschten in den USA strengere Tempolimits als auf Deutschen Autobahnen und das Schlimme war, die Leute hielten sich auch noch daran! Es war frustrierend, nach wenigen Kilometern Fahrt, manchmal wenigen hundert Metern, bremste irgendein Lahmarsch sie wieder aus.
    Es verging der Tag in der Wüste.
    Bevor sie sich auf den Rückweg machte, hielt sie ein letztes Mal am Straßenrand, stieg aus und erleichterte sich. Ein Auto zog an ihr vorüber, hupte wild und sie hörte das Grölen junger Kids. Pinkelnd sah sie ihnen nach, das Grollen des Wagens verstummte und sie konnte das Plätschern des Urins wieder hören. Sie richtete sich auf, zog Slip und Hose hoch und ging zum Auto zurück. Dort angekommen sah sie sich ein letztes Mal den dunklen Fleck im Staub und Schotter an — ob Pflanzen von ihrem Urin zehren würden? Ihr gefiel die Idee, eine Wüstenblume könne dort sprießen.
    ***
    Zurück an der Pyramide, das strahlende Flutlicht erhellte bereits die Nacht, entschied sich Marie dazu, eine Bar aufzusuchen. Sie schlenderte um das Hotel herum in Richtung des Tailor's Club. Eine Schlange hatte sich vor der Samtkordel gebildet und ihr blieb nichts anderes übrig, als sich mit den anderen hippen Partygängern anzustellen. Der Einlasser prüfte die Bittsteller und schickte, bis auf ein paar wenige Glückliche, einen nach dem anderen weg. Schließlich kam sie an die Reihe. Er verdrehte die Augen und wies sie kurzerhand ab. Natürlich würde sie in ihren staubigen Schuhen und Straßenkleidern nicht in dessen Heiliges Reich gelangen.
    Sie machte auf dem Absatz kehrt und passierte die Kleingeister, die noch nicht abgewiesen worden waren und aufgeregt jedes Urteil des Torwächters im schwarzen Anzug mitverfolgten. Ans Ende der Schlange von Bittstellern angelangt, hörte sie jemanden rufen: „Miss? Miss!“
    Sie drehte sich um. Ein alter Knabe in einem hellblauen Hemd mit weißem Kragen, dunkelblauen Hosenträgern, roter Krawatte und grauer Hose sah sie freundlich lächelnd an. Wall Street. Businessman. Er war groß gewachsen und kräftig gebaut, hatte jedoch ein paar Kilo zu viel auf den Rippen. Seine Krawatte war halb geöffnet, der Knoten hing weit unten. Sie wirkte wie ein Strick, den er sich um den Hals gelegt hatte, um sich zu erdrosseln — leider hatte er sich in letzter Minute dagegen entschieden. Das Hemd guckte aus der Hose, eine Hand steckte in deren

Weitere Kostenlose Bücher