Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Totgeburt

Totgeburt

Titel: Totgeburt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam E. Maas
Vom Netzwerk:
Tasche und aus der anderen baumelte sein Sakko. Die Kleider waren alles andere als Lumpen, trotzdem schien er keinen gesteigerten Wert auf sein Äußeres zu legen. Zumindest zu dieser fortgeschrittenen Stunde war ihm sein Auftreten egal geworden. Er trat näher. Seine Stirn zeigte tiefe Falten, weitere verzierten seine Augen und den Mund. Bartstoppeln wuchsen empor. Er hatte graues und für sein Alter recht volles, nach hinten gekämmtes Haar, das mit Haarwachs fixiert worden war, sich jedoch bereits zu lösen begann. Ein Mann am Ende seiner Tage.
    „Willst du in den Club?“, fragte er.
    Aus dem Mitteleren Westen, Chicago vielleicht, jedenfalls hatte er den Nachrichtensprecher Akzent. Das sagte heute nicht mehr viel. Von überall oder nirgendwo, entschied sie.
    „Ehm, ja“, sagte sie gelangweilt.
    „OK, dann komm einfach mit mir.“
    Er drehte sich um, wartete nicht ab zu sehen, ob sie sich ihm anschloss und ging zum Türsteher. Er blieb stehen und sagte etwas, jedenfalls nickte der Torwächter und lächelte Marie höflich zu.
    Versuchte der Alte sie zu ficken? Sie lächelte zum ersten Mal an diesem Abend. Die Samtkordel öffnete sich und sie traten ein.
    ***
    „So jung und schon voller Sorgen, Luca?“, fragte sie Al. „Das Leben ist kurz, vergiss das nicht.“
    „Ach was. So jung wie ich aussehe, bin ich gar nicht“, sagte sie und blickte in die Masse aus sich bewegenden, lachenden und redenden Leibern. Kopulationsvorbereitungen.
    „So? Ich hätte dich auf Fünfundzwanzig, höchstens Siebenundzwanzig, geschätzt. Jedenfalls bist du noch keine Siebenundsechzig.“
    „Fünfundzwanzig? Nah dran“, sagte sie, ließ ab von der berauschten Menge und blickte ihm in die Augen. Was, Siebenundsechzig? Genau so alt war sie. Ha, wenn er wüsste! Sie war dreiundzwanzig gewesen, als sie rekrutiert worden war und seit dem keinen einzigen Tag gealtert. „Du bist gut, was Zahlen angeht.“
    „Dankeschön. Ich bin ein leidenschaftlicher Spieler, weißt du? Habe mit Pferdewetten und Hundewetten angefangen. Später zog es mich eher zum Boxen, Baseball und so weiter. Jetzt spiele ich lieber Kartenspiele, Poker, Black Jack. Aber am Liebsten Poker. Ich liebe es, menschliche Kontrahenten zu haben, Gegner aus Fleisch und Blut, die Hirn haben“, sagte er und tippte dabei mit seinem Finger gegen seine Stirn.
    „Bist du Berufsspieler?“
    „Nein, oooh, nein! Ich bin Unternehmer.“
    „So?“, fragte sie gelangweilt und ihr Blick glitt zurück ins Getümmel.
    „Ja, so ist es. Das heißt, ich will bald in Rente gehen. Meine Kinder sollen da weitermachen, wo ich aufgehört habe.“
    „Was für ein Zufall, ich wollte auch bald in Rente gehen“, sagte Marie, woraufhin Al kurz lachte.
    Das Lachen der Menschen verriet viel über ihren Charakter und das Lachen dieses Mannes war in Ordnung. Sie sah ihm wieder in die Augen. Er hielt dem Blick stand. Seltsamer Typ, dachte sie.
    „Familienunternehmen also“, stellte sie fest.
    „Ja.“
    Merkwürdig, er wollte sie nicht ins Bett kriegen.
    „Ich arbeite auch in einem Familienunternehmen“, sagte sie fast schon herausfordernd.
    „Dann kennst du ja die Höhen und Tiefen vom Business.“
    „Oh ja … und zur Zeit mache ich eher Bekanntschaft mit den Tiefen.“
    „Ist das so? Wer ist Schuld, dein Vater?“
    „Mein Onkel. Mit meinem Vater habe ich keinen Stress. Wie auch, ist ja praktisch nie da.“
    „Ja? Hat er sich schon zurückgezogen?“
    „Ja, mehr oder weniger. Er ist meistens auf irgendwelchen Segeltouren.“
    „Woher kommst du eigentlich?“
    „Habe ich einen Akzent?“
    Sie dachte bei der Frage an einen Deutschen Akzent, lebte sie doch schon sehr lange dort.
    „Klar. Würde sagen aus der New Yorker Ecke.“
    „Stimmt. Habe aber eine Zeitlang in Frisco gewohnt.“
    „Bei den Hippies?“, fragte er witzelnd.
    „Ja, bei den Hippies.“
    Marie hatte tatsächlich dort gewohnt, bei den Hippies, bis achtundsechzig. Dort hatte die Familie sie gefunden.
    „Oh, kann Hippies nicht leiden“, sagte Al.
    „Hehe, ich auch nicht. Scheiß Hippies!“
    Beide lachten und stießen mit den Gläsern an.
    „Ja, ja, scheiß Hippies. Hey, wo treibst du dich jetzt rum? Zurück in New York?“
    „Oh nein, wohne in der Alten Welt.“
    „Im Königreich?“
    „Nein, in Deutschland.“
    „Ach, im anderen Reich also.“
    „Haha … die Zeiten sind lange vorbei.“
    „Ich weiß … wie passt das mit dem Unternehmen zusammen?“, fragte er.
    „Import, Export“, meinte sie. Eine andere

Weitere Kostenlose Bücher