Totgeglaubt
Lächeln wurde noch zynischer. “Dachte ich’s mir doch, dass wir uns einigen würden. Danke, dass Sie vorbeigekommen sind”, sagte er und schloss die Tür.
Verdutzt stand Dale auf der Eingangstreppe. Clay hatte Irene nicht einmal erwähnt. Hieß das, dass er nichts von ihrer Beziehung wusste?
Natürlich wusste er nichts. Denn sonst hätte ein Typ wie Clay die Information sofort genutzt, um seine eigene Situation zu verbessern. Er hätte Dale niemals das angeboten, was der sich wünschte, ohne im Gegenzug eine Forderung zu stellen.
Dale spürte, wie der Druck, der auf ihm gelastet hatte, langsam nachließ. Erleichtert ging er zu seinem Wagen. Auf der Fahrt nach Hause pfiff er ununterbrochen vor sich hin. Vielleicht hatte er ja doch noch eine Chance, heil durch die nächsten Wochen zu kommen.
Allie fühlte sich in ihrer neuen Wohnung noch nicht zu Hause. Sie hatte bislang kaum Gelegenheit gehabt, ihre Sachen auszupacken, und konnte auf dem harten Boden nicht gut liegen, da half es auch nichts, dass sie sich in ihrem Schlafsack eng an Whitney kuschelte. Ihre Mutter rief mehrmals täglich an und bat sie, es sich doch noch einmal zu überlegen und wieder zu ihnen zu ziehen. Als das nicht fruchtete, meldete sich ihr Bruder und fragte, ob er helfen könne, den Streit zwischen ihr und ihrem Vater beizulegen. Und wenn gerade mal niemand anrief, sprang Allie bei jedem noch so kleinen Geräusch auf und blickte zu Jed Fowlers Haus hinüber.
Der Gedanke an ihren Nachbarn jagte ihr eine Gänsehaut nach der anderen über den Rücken. Seit Stunden parkte sein Truck jetzt schon auf der Auffahrt, doch seit Einbruch der Dunkelheit waren im Haus keine Lichter angegangen. Was machte er, wenn er von der Arbeit nach Hause kam? Aß er und ging dann geradewegs ins Bett? Oder zündete er sich im hinteren Teil des Hauses ein paar Kerzen an, anstatt das Licht anzuknipsen?
Allie zwang sich, an etwas anderes zu denken. Sie kroch aus dem Schlafsack, ohne Whitney aufzuwecken, und wanderte müde in den beiden kleinen Zimmern auf und ab. Dann schrieb sie eine Liste mit all den Dingen, die noch organisiert, aufgeräumt oder gereinigt werden mussten. Zum Glück würde ihre Mutter ihr am Morgen einige Möbel aus dem Gästehaus herüberbringen. Aber wann sie Zeit haben würde, sich richtig einzurichten, wusste Allie noch nicht.
Morgen wollte sie jedenfalls noch einmal zur Hütte rausfahren. Heute war das nicht möglich gewesen – ein Officer aus dem Büro des Sheriffs hatte dort nach Spuren gesucht. Er hatte sie angerufen und um ihre Aussage gebeten. Anschließend hatte er ihr erzählt, dass er sich auch bei Clay melden wolle und dass er die Patronenhülse gefunden habe.
Aber obwohl der Mann einen kompetenten Eindruck gemacht hatte, wollte Allie die Ermittlungen nicht anderen überlassen. Dafür war das Ganze viel zu persönlich.
Das Geräusch eines dumpfen Aufpralls brachte sie mit einem Satz zurück zum Fenster. Wahrscheinlich war bloß eine Katze oder ein Waschbär aufs Dach gesprungen, aber in ihrem überreizten Zustand dachte sie sofort an Jeds Autotür.
War Jed draußen unterwegs?
Allie blinzelte. Sie war sich nicht sicher, ob sie eine Bewegung in den dunklen Fenstern seines Hauses gesehen hatte oder nicht. Plötzlich hörte sie das Geräusch eines sich nähernden Autos, das in jedem Fall nichts mit Jed zu tun hatte. Der Streifenwagen ihres Vaters fuhr die Straße entlang und hielt vor ihrer Wohnung an.
“Na, großartig”, murmelte sie. Sie war nicht scharf auf einen weiteren Streit. Aber jetzt, wo sie in unmittelbarer Nachbarschaft von Jed wohnte und es schon spät war, erleichterte es sie insgeheim doch, Gesellschaft zu haben. Selbst wenn es die Gesellschaft ihres Vaters war.
Sie wartete, bis er vor der Tür stand. Dann öffnete sie, damit er nicht klingelte und Whitney damit aufweckte.
“Hat Clay dich noch nicht angerufen?”, fragte er, scheinbar überrascht.
Clay hatte nicht angerufen. Nur Madeline hatte sich mehrmals gemeldet. Sie wollte ihr ein Bett für Whitney vorbeibringen, das sie in der Garage stehen hatte. Aber von Clay hatte Allie nichts gehört, seit ihr Vater sie nach Stillwater zurückgebracht hatte. Sie wusste, dass sie beide ein bisschen überrumpelt waren – von dem, was vor und nach dem Eintreffen ihres Vaters passiert war. Aber nichtsdestotrotz vermisste sie ihn. “Ich weiß nicht, wovon du sprichst. Hätte er mich anrufen sollen?”, fragte sie möglichst unbekümmert.
“Äh … nein.” Dale
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