Totgeglaubt
Freunde zu Gegnern machen.” Sie senkte die Stimme. “Und was, wenn sie schwanger wird?”
Portenski erschauderte bei dem Gedanken. Er hatte die kleine Allie immer ganz besonders gemocht. “Allie verliert nicht so schnell ihren klaren Kopf. Sie ist sich der Gefahren ganz sicher bewusst.”
“Normalerweise würde ich Ihnen zustimmen. Aber ihre Scheidung hat sie ziemlich mitgenommen. Sie muss erst noch über diese Enttäuschung hinwegkommen und ist verletzlich wie noch nie.”
“Ich verstehe.”
“Meinen Sie, ich sollte Dale noch einmal zu ihr rüberschicken?”, fragte Evelyn.
“Besteht denn eine Chance, dass die beiden die Sache ganz alleine klären?”
Sie knetete das Taschentuch, das er ihr gegeben hatte. “Wenn sie sich nicht so schrecklich ähnlich wären, dann wäre ich da zuversichtlicher. Aber ich glaube, so festgefahren, wie ihre Beziehung zurzeit ist, wird sie wohl noch eine ganze Weile bleiben.”
“Warum sprechen Sie nicht selbst mit Allie?”
“Das habe ich versucht, Reverend. Ich habe sie zigmal gebeten, zu uns zurückzuziehen, schon um Whitneys willen, aber auch um meinet- und ihretwillen. Ich sorge mich um Whitney. Sie hat schon die ganze Woche eine schreckliche Erkältung. Aber Allie hört nicht auf mich.”
“Wie kommt sie denn finanziell zurecht?”
“Sie lebt von ihren Ersparnissen, nehme ich an. Ich habe ihr geholfen, ihre neue Wohnung zu möblieren, aber darüber hinaus erlaubt sie mir nichts. Nicht einmal, dass ich Lebensmittel für sie einkaufe.”
“Erlaubt sie Ihnen denn, Whitney zu sehen?”
“Ja. Und wenn Allie einen neuen Job gefunden hat, dann werde ich auch wieder auf Whitney aufpassen. Aber ich musste schon sehr darauf drängen.”
“Wo möchte sie denn arbeiten?”
“Sie bewirbt sich gerade bei der Polizei in Iuka.”
“Ist das denn aussichtsreich, wenn Dale ihr kein Empfehlungsschreiben gibt?”
“Ich bin sicher, dass sie auf ihre hervorragende Aufklärungsquote in Chicago verweisen wird.”
Portenski rieb sich das Kinn, während er nach einer Lösung suchte. “Glauben Sie, sie trifft sich immer noch mit Clay?”
“Es ist noch nicht ganz eine Woche her, dass Dale die beiden zusammen erwischt hat. Und es stimmt – ich meine, die Gerüchte, die kursieren –, dass die beiden intim miteinander waren.” Tränen liefen ihr die Wangen hinunter.
“Vielleicht hat ihr der Streit mit Ihnen beiden die Augen geöffnet.”
Evelyn lachte bitter auf, während sie sich das Gesicht abtupfte. “Nein. Wenn der Streit irgendetwas bewirkt hat, dann, dass er sie darin bestärkt hat, ihren eigenen Weg zu gehen. Dale hat sie nur noch weiter in die Arme der Montgomerys getrieben.”
Portenski stand von seinem Stuhl auf, umrundete seinen Schreibtisch und blieb an der einen Tischecke stehen. “Evelyn …”
“Ja?”
“Informieren Sie mich, wenn die Beziehung noch länger andauert?”
Sie zögerte. “Was wollen Sie unternehmen?”
Er hatte zu viel verraten, sich zu weit vorgewagt. Er wandte den Blick ab und zauberte ein mildes Lächeln auf sein Gesicht. “Ich werde für sie beten.”
Für uns alle.
Evelyn nickte und stand auf, um zu gehen. “Danke, Reverend. Vielen Dank.”
Portenski klopfte ihr auf die Schulter, als sie sich an der Tür verabschiedeten, dann kehrte er langsam an seinen Schreibtisch zurück. Er konnte nicht tatenlos zusehen, wie die Geschehnisse der Vergangenheit einem Schäfchen seiner Herde wehtaten – nicht, solange er etwas dagegen tun konnte. Aber konnte er das wirklich?
Er ließ sich auf seinen Stuhl fallen und rieb sich die Augen. Er wusste, was die Fotos anrichten würden – bei Grace, bei Clay, bei Irene und Madeline. Und er wusste auch, wie sehr sie seiner geliebten Kirche schaden würden. Barkers Perversionen und sein Doppelleben würde den Glauben der ganzen Gemeinde auf die Probe stellen.
Aber andererseits war Allie die Tochter einer guten Freundin, einer guten Frau.
Vielleicht war das ja Gottes Weg, ihm seinen Willen kundzutun?
Allie parkte und stieg aus. Es war innerhalb kurzer Zeit jetzt schon ihr fünfter Ausflug zur Anglerhütte ihres Vaters, aber trotzdem weckte der Anblick der Hütte immer noch Erinnerungen an Clay und die gemeinsam dort verbrachte Zeit. Nicht dass sie besonders viele äußere Impulse brauchte, um sich in schwelgerischen Gedanken an ihre Liebesnacht zu verlieren. Tatsächlich war es so, dass sie an kaum etwas anderes denken konnte. Besonders, wenn sie abends zur Ruhe kam … Aber sie hatte seitdem
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