Totgeglaubt
schnippte ein Staubkörnchen von seinem Hosenbein. “Warum schläfst du nicht?”
“Warum schläfst
du
nicht?” Mit verschränkten Armen lehnte sie sich gegen den Türpfosten. Und wenn ihr neuer Nachbar ihr noch so viel Unbehagen einflößte – ihrem Vater gegenüber würde sie niemals zugegeben, dass es ihr alles andere als blendend ging. Was er ihr in der Hütte an den Kopf geworfen hatte, war unverzeihlich.
Eine räudige Hündin?
“Ich betreibe Schadensbegrenzung”, sagte er.
Es war klar, dass er in ihr die Schuldige sah, und Allie spürte, dass sie tatsächlich einen Teil der Verantwortung trug. Sie hätte sich niemals so weit mit Clay einlassen dürfen. Die unvoreingenommene, gleichberechtigte Freundschaft, die sie ihm hatte anbieten wollen, war viel zu schnell außer Kontrolle geraten. Aber als er verletzt und blutend vor ihr stand, hatte plötzlich ein ganz anderes Gefühl Oberhand bekommen und Regie geführt: die Erleichterung, dass er am Leben war.
“Was willst du?”, fragte sie schroff. Was passiert war, war passiert. Es gab kein Zurück mehr. Wobei sich Allie sicher war, dass sie gar nicht zurückrudern wollte, selbst wenn sie gekonnt hätte. Denn die Nacht, diese einzigartige Nacht, die sie mit Clay verbracht hatte, hätte sie um nichts in der Welt missen wollen.
Ihr Vater fingerte an seinem Waffengurt herum. Offenbar, dachte Allie, geht ihm das, was er sagen will, nicht leicht über die Lippen. Fast glaubte sie, er würde sich bei ihr entschuldigen. Doch er war nicht der Typ, der andere Leute um Verzeihung bat. Er meinte es gut, aber er hatte mit sich zu kämpfen, wenn es darum ging, seine Gefühle auszudrücken.
“Ich habe meine Meinung geändert”, sagte er mürrisch. “Du kannst deinen Dienst wieder aufnehmen. Aber nur als meine persönliche Assistentin”, fügte er hinzu.
Allie fiel fast die Kinnlade herunter. “Was?”
“Du hast mich schon verstanden. Du willst Arbeit, du brauchst Arbeit – und das sind die Rahmenbedingungen. Und du kannst noch zufrieden sein damit. Ich habe noch nie jemanden ein zweites Mal eingestellt.”
“Ich erinnere mich auch nicht daran, dass du je jemanden gefeuert hast.” Sie dachte an Hendricks. “Nicht einmal Kollegen, die es verdient hätten.”
“Wir sind hier in Stillwater.”
Allie runzelte die Stirn. “Das merke ich auf Schritt und Tritt.”
“Und?”, sagte er. “Was ist: Ja oder nein?”
“Nein”, antwortete sie und schloss die Tür. Dann stand sie inmitten der Umzugskartons in ihrem neuen Wohnzimmer und fühlte sich unwohl mit sich selbst, mit ihrem Vater und mit der gesamten Situation.
Whitney hustete und versuchte, sich im Schlaf aus ihrem Schlafsack herauszustrampeln. Allie ging zur Heizung und drehte sie hoch. Sie hatte Angst, dass ihre Tochter sich, wie letztes Jahr, eine Bronchitis zuziehen würde. Es wäre ein denkbar ungünstiger Moment, wenn Whitney jetzt krank würde, aber so oder so – sie würden es ohne Dales Jobangebot schaffen. Selbst in Stillwater.
Allie wollte sich gerade wieder hinlegen und versuchen einzuschlafen, als es wieder klopfte. Offenbar war ihr Vater gar nicht weggefahren.
Leise fluchend ging sie zur Tür. “Ja?”
Dale murmelte etwas, das sie nicht verstand.
“Ich verstehe nichts”, sagte sie.
“Hör auf, so stur zu sein.”
“Ah, jetzt bin ich also stur? Vor Kurzem war ich noch eine räudige Hündin.”
Er sah betreten drein. “Ich habe mich heute Morgen etwas zu sehr ereifert.”
“Was du nicht sagst.”
Seine finstere Miene kehrte zurück. “Du hattest einfach kein Recht dazu, dich mit Clay einzulassen. Der Klatsch über euch beide verbreitet sich bereits überall. Glaubst du etwa, dass es ihm hilft, wenn alle glauben, du hättest dich auf seine Seite geschlagen? Wo doch jeder gehofft hat, du würdest endlich die Wahrheit ans Licht bringen.”
Allie wusste nur zu gut, dass niemand etwas von dem hatte, was vorgefallen war. Nicht einmal sie beide selbst. Deshalb fühlte sie sich ja so schlecht. “Du hast recht, Dad, und es tut mir leid. Aber ich stehe ja jetzt nicht mehr im Rampenlicht. Ich werde dir also keine Schwierigkeiten mehr bereiten.”
“Verdammt, Allie!” In Dales Gesicht zuckte ein Muskel. “Okay, du hast gewonnen. Du kannst deinen Job zu den alten Bedingungen zurückhaben. Halt dich nur einfach von Clay Montgomery fern, okay?”
Es war sowieso völlig klar, dass sie sich von Clay fernhalten musste – zumindest so lange, bis sich die Aufregung gelegt hatte. Und
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