Totgeglaubt
nichts von Clay gehört.
“Es ist besser so”, sagte sie sich und versuchte, sich auf das zu konzentrieren, weswegen sie hier war: die Spurensuche am Tatort. Trotzdem nahm sie sich noch die Zeit, ihre Mailbox abzuhören. Sie hatte das Fenster ihres Autos reparieren lassen, aber ihre Handtasche, die Autoschlüssel und ihr Handy waren nicht wieder aufgetaucht. Ihre Waffe leider auch nicht.
Sie hatte drei Nachrichten. Die erste war von ihrer Mutter.
Allie, bitte. Ich weiß nicht, warum du so störrisch bist. Zieh doch wenigstens ins Gästehaus. Denk doch daran, wie sehr viel einfacher es wäre, wenn
…
Sie stoppte die Nachricht mitten im Satz. Unter keinen Umständen würde sie zu ihren Eltern zurückziehen.
Mit einem nervösen Kribbeln im Bauch sprang sie vor zur nächsten Nachricht, in der verrückten Hoffnung, dass sie von Clay wäre. Zwar hatte er, soweit sie wusste, ihre neue Nummer nicht, aber er hätte sie sich leicht von seinen Schwestern besorgen können.
Doch auch die zweite Nachricht war nicht von Clay, sondern von Madeline. Sie hatten in letzter Zeit oft telefoniert; Madeline hatte etliche Möbelstücke zu Allies zusammengewürfelter Einrichtung beigesteuert. Aber diesmal wollte sie nicht über Möbel sprechen, sondern über ihren Bruder. Ob es wohl Clay schon wieder gut ging? Sie machte sich immer noch Sorgen wegen der Schussverletzung.
Weißt du schon, wer es getan hat, Allie?
Auch die letzte Nachricht war nicht von Clay. Hendricks antwortete auf einen Anruf von ihr. Allie sah es ein bisschen als Ironie des Schicksals, dass Hendricks, den sie nie besonders gemocht oder respektiert hatte, jetzt netter zu ihr war als alle anderen Kollegen. Es schien Hendricks weniger zu schockieren, als vielmehr neugierig zu machen, dass Allie jetzt bei den Leuten, die in Stillwater das Sagen hatten, als Verräterin galt.
Tut mir leid, aber Ihre Handtasche ist nicht gefunden worden. Ich hoffe, Sie haben Ihre Kreditkarten sperren und Ihre Schlösser auswechseln lassen. Nach allem, was ich so höre, hat der Sheriff keinerlei Hinweise darauf, wer auf Ihren Freund geschossen hat.
Die Betonung auf dem Wort Freund ließ Allie zusammenzucken. Wenn sie sich bisher eingebildet hatte, dass Hendricks es gut mit ihr meinte, dann belehrte sie sein Ton jetzt eines Besseren. Ganz klar: Er war nicht auf ihrer Seite. Niemand war das. Jetzt, wo ihre Verbindung mit Clay in aller Munde war, konnte sie wohl kaum mehr die Straße entlanggehen, ohne sich schiefe Blicke einzufangen. Natürlich hatte sie damit gerechnet. Aber trotzdem tat es weh.
“Willkommen im Leben, so wie es die Montgomerys kennen”, murmelte sie und lauschte weiter dem, was Hendricks zu sagen hatte.
Ihr Vater würde nicht wollen, dass ich es Ihnen verrate, aber ich war ein paarmal mit einem Mitarbeiter des Sheriffs bei der Hütte. Die Patronenhülse, die sie gefunden haben, stammt von einer 9mm-Glock, also wahrscheinlich von Ihrer Dienstwaffe. Keine große Überraschung. Aber der Schütze muss sein Handwerk verstanden haben, denn er hat nicht den Hauch einer Spur hinterlassen, die uns irgendetwas Neues verraten würde …
Das überraschte Allie nicht. Auf dem Notizzettel hatte sie auch keine Fingerabdrücke gefunden. Wer auch immer das Papier aus dem Drucker gezogen hatte, war so umsichtig gewesen, Handschuhe zu tragen.
Lassen Sie mich wissen, wenn Sie irgendetwas brauchen. Ohne Sie ist es auf dem Revier einfach nicht das Gleiche.
Beim letzten Satz runzelte Allie die Stirn. Dieser Heuchler! Er meinte es nicht ernst, das wusste sie, aber trotzdem musste sie zugeben, dass ihr Leben seit ihrem Rauswurf auch nicht mehr das Gleiche war. Sie liebte die Polizeiarbeit, und in Iuka hatte man auf ihre Bewerbung noch nicht reagiert. Trotzdem war es zu spät, um in ihren alten Job zurückzukehren. Zumal sie sich nicht zur Handlangerin der Politik machen wollte.
Allie checkte noch einmal, ob das tatsächlich alle Nachrichten waren, und legte auf. War sie bloß eine weitere von unzähligen Idiotinnen, die ihr Herz an den mysteriösen Clay Montgomery verloren hatten?
Um gar nicht erst über eine Antwort auf diese Frage nachgrübeln zu müssen, ließ sie das Handy in ihre Tasche fallen, stellte die Fotoausrüstung ab und holte ihre teuerste Linse hervor. In den letzten vier Tagen hatte sie, sobald Whitney in der Schule war, Zentimeter für Zentimeter den Tatort durchgekämmt. Aber genau wie die Leute des Sheriffs war sie mit leeren Händen nach Hause gekommen. Dort, wo
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