Totgeglaubt
ihr klar wurde, wie ihre Worte aufgefasst werden könnten, und beeilte sich hinterherzuschicken: “Ich meine, dass Sie frei von Verletzungen sind, die Sie belasten könnten.”
Er ging nicht weiter auf ihren Versprecher ein: “Glauben Sie mir?”
“Was ich glaube, spielt keine Rolle. Ich nehme nur die Fakten auf. Der Staatsanwalt wird seine eigenen Schlüsse ziehen. Wenn Sie es allerdings darauf ankommen lassen wollen, dass mein Protokoll zu Ihrer Verteidigung ausreicht, falls Miss Cole nicht von ihrer Version des Vorfalls abrückt … dann brauchen Sie nicht aufs Revier zu kommen. Andernfalls …”
“Allie.”
Sie blinzelte. Sie hatte keine Ahnung, dass er ihren Vornamen kannte. “Was?”
“Ich habe
noch nie
eine Frau geschlagen. Glauben Sie mir, wenn ich Ihnen versichere, dass ich sie nicht geschlagen habe?”
Sie starrte ihn an, wog ihre Eindrücke gegeneinander ab. Bis jetzt hatte sie versucht, sich in ihrem Urteil weder auf die eine noch die andere Seite zu stellen, hatte sich einfach nur bemüht, ihren Job zu machen. Aber es war relativ klar: Beth Anns Worte hatten falsch geklungen, nicht Clays. Wahrscheinlich, dachte sie, will er genau diese Bestätigung von einer Person in Uniform hören.
“Ja, ich glaube Ihnen”, gab sie zu. Dann ging sie hinaus.
Clay saß am Küchentisch und lauschte dem Ticken der Uhr über dem Herd. Er musste nicht aufs Revier fahren; Beth Anns Anschuldigungen waren völlig haltlos. Und Allie McCormick hatte ihm versichert, dass sie ihm glaubte. Aber er setzte wenig Hoffnung darauf, dass sie sich an ihre Worte erinnern würde, wenn ihr Vater oder jemand anders erst einmal anfing, die Fakten anders zu deuten. Warum sollte sie auch? Clay wusste genau, dass der nächtliche Vorfall kein gutes Licht auf ihn warf. Der hysterische Anruf direkt von seinem Haus aus, die Kratzspuren auf seinem Rücken, Beth Anns Behauptung, schwanger und von ihm zu einer Abtreibung gedrängt worden zu sein …
Es war erniedrigend. Er war sich fast hundertprozentig sicher, dass Beth Ann nicht schwanger war. Sonst hätte sie ihm etwas gesagt, schon allein, um die Trennung doch noch zu verhindern. Sie war gerissen genug, um diesen Trumpf auszuspielen, wenn er sich denn bot. Das überzeugte ihn einmal mehr davon, dass Frauen in seinem Leben nichts mehr zu suchen hatten. Offensichtlich konnte er ja nicht einmal mehr eine harmlose Affäre haben, ohne es zu bereuen.
“Scheiße”, murmelte er, stand auf und griff nach seinen Schlüsseln. Er würde aufs Revier fahren und Officer McCormick ihre dämlichen Fotos machen lassen. Das T-Shirt auszuziehen und die Kratzspuren von Beth Anns Fingernägeln zu entblößen, würde nicht entwürdigender sein als beim ersten Mal. Und er war es seinen Schwestern und seiner Mutter schuldig, den Schaden zu beheben, den er angerichtet hatte.
Er musste alles tun, um weitere Aufmerksamkeit von sich abzulenken und Beth Anns Anschuldigung zu entkräften. Er musste alles daransetzen, um die Fehler der Vergangenheit wiedergutzumachen.
Allie hatte nicht damit gerechnet, Clay in dieser Nacht noch einmal wiederzusehen. Sie war mehr als erstaunt, als er gegen drei Uhr morgens auf dem Revier auftauchte. Beth Ann war erst ein paar Minuten zuvor gegangen, und Hendricks hatte seinen lahmen Arsch endlich hochgekriegt und fuhr Streife. Mit anderen Worten: Sie war wieder einmal allein mit Clay.
“Mr. Montgomery.” Sie vermutete, dass er ihr gleich vorschlagen würde, ihn beim Vornamen zu nennen. Sie waren ungefähr gleich alt und hatten dieselbe Schule besucht. Doch das tat er nicht.
“Officer McCormick.”
Sie war im Begriff gewesen, sich einen Kaffee einzugießen, doch jetzt stellte sie den Becher beiseite. “Ich bin froh, dass Sie hier sind.”
“Ist Ihre Kamera startklar?”, fragte er.
“Ja.” Sie nahm sie von ihrem Schreibtisch.
“Dann lassen Sie es uns hinter uns bringen.”
Zuerst machte sie Fotos von seinen Händen. Dann zog er das T-Shirt aus, und sie fotografierte sein Gesicht, seine Brust und seine Arme aus mehreren Perspektiven. Als sie keine Anstalten machte, sich seinem Rücken zuzuwenden, zog er fragend die Augenbrauen hoch: “Schon fertig?”
“Schon fertig.”
“Ist … ist die Sache damit wohl erledigt?”, fragte er hoffnungsvoll und zog sich das T-Shirt wieder über den Kopf.
Obwohl Beth Ann diesmal nicht in der Nähe war, scheute sich Allie davor, Clay von dem angedeuteten Mordgeständnis zu erzählen. Egal, was Beth Ann gesagt hatte: Sie
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