Totgeglaubt
Nachttisch und nahm den Hörer ab. Es musste Beth Ann sein. Er hatte zweimal versucht, sie zu erreichen.
“Hallo?”
“Clay?”
Es war Beth Ann. Clay streckte sich auf dem Bett aus, blickte an die Decke und wunderte sich, warum er nicht wütend war. Schließlich hatte sie mit allen Mitteln versucht, ihn hinter Gitter zu bringen – und völlig gebannt war die Gefahr immer noch nicht. Aber tatsächlich machte er sich selbst größere Vorwürfe als ihr. Immerhin war sie bereit gewesen, eine Beziehung mit ihm einzugehen und Verantwortung zu tragen. Er hingegen konnte ihr nicht einmal Freundschaft anbieten.
“Na, wie geht’s?”, fragte er.
Sie zögerte mit einer Antwort, und er spürte, dass es sie überraschte, seine übliche Begrüßungsformel zu hören. “Bist du nicht böse?”, fragte sie.
“Das hängt davon ab, was du mit böse meinst.”
Ihre Stimme klang auf einmal verzagt: “Es tut mir leid.”
Sie klang aufrichtig zerknirscht. Sicherlich war Beth Ann nicht durch und durch edel und herzensgut, doch zu den ganz miesen Zeitgenossen gehörte sie auch nicht. Und Clay seinerseits rechnete in naher Zukunft auch nicht gerade mit seiner Heiligsprechung. “Es ist passiert. Es ist vorbei. Ich denke, wir sollten es beide vergessen und unser Leben weiterleben.”
“Ja, das finde ich auch”, stimmte sie eifrig zu.
Hieß das, dass die Angelegenheit vom Tisch war? Clay runzelte die Stirn und wartete gespannt, was sie in den nächsten Sekunden aus dem Hut zaubern würde. Es war unwahrscheinlich, dass Beth Ann schwanger war. Unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen. “Sag mir nur eins …”
“Was?”
Fernes Donnergrollen rollte vereinzelt so dicht heran, dass die Fensterscheiben vibrierten. “Stimmt es, was du gesagt hast?”
Er ging davon aus, dass sie sofort wissen würde, was er meinte. Aber ihre Antwort zeigte ihm, dass das nicht der Fall war.
“Nein. Was auch immer Allie dir erzählt hat, sie muss es aufgebauscht haben. Ich war bestürzt und aufgewühlt und bin etwas laut geworden, das stimmt. Aber sie war es, die mich festgehalten hat und mich nicht gehen lassen wollte, bis ich diese dämliche Erklärung unterschrieben hatte.”
Für Clay war das Porzellan bereits am Abend zuvor zerschlagen worden. Alles, was ihn noch interessierte, war die Frage, ob ein Baby unterwegs war oder nicht. Dennoch kamen Beth Anns Worte für ihn so überraschend, dass sie ihn tatsächlich aus der Bahn warfen. “Willst du etwa behaupten, es war Allies Schuld, dass du mir ein Mordgeständnis untergeschoben hast?”
“Ja! Sie hat mich benutzt. Vielleicht hast du es noch nicht gehört, aber sie hat vor, den Fall deines Stiefvaters aufzurollen. Ich wette, sie will uns Landeiern mal so richtig zeigen, was eine Großstadtermittlerin alles drauf hat.”
Clay sah Allie wieder vor sich. Sie war nicht so eine Südstaatenschönheit wie Beth Ann, aber sie hatte ein einzigartiges Gesicht. Ihre großen braunen Augen wurden von kurzen dunklen Haaren umrahmt und die kleine Nase von einer Handvoll Sommersprossen gesprenkelt. Das Kinn war vielleicht ein wenig zu spitz, und weil sie so klein war, ließen die Sommersprossen sie fast mädchenhaft aussehen. Aber sie hatte ein kleines Muttermal auf der rechten Wange, das ihr etwas Raffiniertes gab. Und ihr Mund war alles andere als kindlich. Die vollen weichen Lippen waren ein regelrechter Kontrapunkt zu der kleinen sommersprossigen Nase. Es war ein sehr weiblicher Mund.
“Hör auf, Allie zu beschuldigen”, warnte er, zunehmend gereizt. Allie war ehrlich und vertrauenswürdig, das spürte er. Dennoch konnte er ihr nicht trauen. Denn die Wahrheit selbst stellte die größte Bedrohung für ihn dar.
“
Es war aber ihre Schuld.”
“Bullshit. Dafür ist Allie gar nicht der Typ.”
“Seit wann kennst du sie denn so gut?”
Er hörte die Eifersucht in ihrer Stimme, aber ihm fehlte die Geduld, darauf einzugehen. “Man braucht sie gar nicht gut zu kennen. Es reicht, sie einmal zu sehen. Sie nimmt ihren Job ernst.”
“Sie ist nur eine Schachfigur, Clay. Die Cops versuchen doch schon so lange, dich festzunageln.”
“Allie ist nicht darauf aus, Beth Ann.” Zumindest jetzt noch nicht. Aber das würde sich ändern, wenn sie entdeckte, dass ihr Vater eine Affäre mit seiner Mutter hatte. Oder wenn sie etwas mehr über das Verschwinden von Lee Barker herausbekam.
“Ohne ihr Drängen hätte ich die Zeugenaussage niemals gemacht und unterschrieben, Clay. Ich
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