Totgeglaubt
er sich gegen die Ehrlichkeit entschieden, was automatisch die Ermittlerin in Allie wachrief. Clay hatte entschieden zu viele Geheimnisse. Und die machten ihr Angst. Um seinetwillen.
“Wir können wohl nie ehrlich miteinander umgehen, oder?”, fragte sie mit ernster Stimme.
Solange es der Verkehr erlaubte, wandte er den Blick von der Straße und sah sie an. “Das hängt davon ab, was Sie wollen.”
“Ich weiß nicht, was Sie meinen.”
“Doch, das wissen Sie.”
Gab er gerade zu, dass er ein Prickeln fühlte, dasselbe Prickeln, das auch sie fühlte? Und dass die Wahrheit, wenn sie erst einmal ans Licht käme, dem im Weg stünde, was sie sich beide insgeheim ersehnten? Sie hätte ihn bitten können, etwas deutlicher zu werden, aber er war nicht gerade der Typ, der offen über Emotionen sprach. Und sie war zu verwirrt über ihre eigenen Gefühle, um ihn zu drängen, über seine zu reden. Also ließ sie ihn die restliche Strecke schweigend fahren.
Als sie sich dem Haus ihrer Eltern näherten, konnte sich Allie einen nervösen Blick auf die Uhr nicht verkneifen. Es war Viertel nach sechs. Sie würde auf jeden Fall zu Hause sein, bevor Whitney – vermutlich gegen sieben – aufwachte. Doch es war sehr wahrscheinlich, dass ihr Vater bereits wie auf Kohlen auf und ab lief. Vielleicht hatte er sie sogar schon im Gästehaus gesucht?
Doch zum Glück lag es genauso verlassen da wie bei ihrem Aufbruch. Wenn ihr Vater schon wach war, dann würde er Allie im Haupthaus erwarten. “Ich denke, wir sollten uns nicht mehr treffen”, sagte sie und streckte ihre Hand nach dem Türgriff aus.
“Das denke ich auch.”
Seine schnelle, entschiedene Antwort versetzte ihr einen Stich. Doch sie wollte sich ihre Enttäuschung nicht anmerken lassen. “Dann sind wir uns ja einig.”
Sie öffnete die Tür, aber er hielt sie an der Jacke zurück, bevor sie einen Fuß auf den Boden setzen konnte.
“Was ist?”, fragte sie.
Er fluchte innerlich, ließ sie aber nicht los.
“Was ist denn?”, fragte sie noch einmal.
“Wann fahren wir wieder hin?”
Allie fragte nicht, wohin. Sie wusste, dass er die Hütte meinte. Gerade noch hatten sie sich darüber verständigt, was das Vernünftigste wäre. Jetzt sprachen sie darüber, was sie sich beide
wünschten.
“Ich habe die ganze Woche Nachtschicht”, sagte sie.
Sie war sich sicher, dass er das für eine Ausrede hielt.
Er nickte, als wäre die Sache damit erledigt.
Aber sie blieb wie angewurzelt stehen. “Freitag würde gehen”, fügte sie rasch hinzu.
Seine Augen suchten ihre. Dass sie auf seinen Vorschlag einging, zeigte ihm, dass ihr Wunsch, ihn zu treffen, offenbar stärker war als ihre Vernunft.
“Eigentlich müssten Sie … ach, herrje, warum so kompliziert? … müsstest
du
jetzt ‘Okay’ sagen”, erinnerte sie ihn, als er nicht antwortete.
Er nickte. In seinem Blick lag so etwas wie Wehmut. “Okay. Ich hole Sie …ich hole dich hier ab. Am Freitag.”
Allie wusste, dass es verrückt war, die romantischen Gefühle, die sie für Clay Montgomery empfand, noch weiter zu schüren. Doch sie konnte der Versuchung, in der Anglerhütte ihres Vaters einen weiteren Abend mit Clay zu verbringen, einfach nicht widerstehen. Nach dem nächsten Wochenende würde sie Clay endgültig nicht mehr treffen. Doch diesen einen Ausflug gestattete sie sich noch. Schließlich war er sexuell nicht interessiert, sonst hätte er doch bereits heute Nacht einen Vorstoß unternommen. Das, was Clay wollte und brauchte, war Gesellschaft. Und Freundschaft.
“Um dieselbe Zeit?”, fragte sie mit wild pochendem Herzen.
Er nickte. “Ich kümmere mich um das Essen.” Und kaum, dass sie den Picknickkorb von der Ladefläche genommen hatte, war er schon weggefahren.
“Dale ist fuchsteufelswild”, platzte Clays Mutter am Telefon heraus. Ihr angestrengtes Flüstern verriet ihm, dass sie von der Arbeit aus anrief.
Clay hockte neben einer defekten Wasserleitung draußen am Highway 40 Richtung Süden. Jetzt verschloss er den Behälter mit dem Spezialzement und stand auf. “Warum?”, fragte er, obwohl er die Antwort bereits kannte. Offensichtlich hatte Chief McCormick herausgefunden, dass er letzte Nacht mit Allie unterwegs gewesen war. An seiner Stelle wäre Clay vielleicht auch wütend. Wahrscheinlich hätte er auch nicht gewollt, dass sich seine Tochter mit jemandem wie ihm abgäbe.
Doch trotz allem konnte Chief McCormick auch dankbar sein, fand Clay. In der Hütte hätte weit mehr passieren
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