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Totgeglaubt

Totgeglaubt

Titel: Totgeglaubt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brenda Novak
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setzte sich neben ihn, lehnte ihren Rücken gegen die Wand und zog die Decke wieder über sich. “Wann war er hier?”
    “Was meinen Sie mit hier?”
    “In Stillwater.”
    Er schaute verblüfft zu ihr herüber. “Er war nie hier, soweit ich weiß.”
    “Hat er sich nie bei Ihnen gemeldet?”
    “Nein.”
    Sie hasste es, ihn in dieser Sache zu bedrängen. Sie wusste, welche Verletzungen das Verhalten seines Vaters bei Clay angerichtet hatte, auch wenn er es nie zugeben würde. “Und bei Ihrer Mutter?”
    Er starrte in sein Weinglas. “Bei der hat er sich auch nie wieder gemeldet.”
    “Hätte sie es Ihnen sonst erzählt?”
    “Ich glaube schon. Lange war ich alles, was sie hatte.”
    Viel zu lange, dachte Allie. “Sie waren sich immer sehr nahe, oder?”
    “Sie hat mir fast alles anvertraut.”
    Allie vermutete, dass Irene damals mehr Erwachsenenprobleme mit Clay gewälzt hatte, als ein Junge seines Alters vertragen konnte. Aber wie Clay schon sagte: Er war alles gewesen, was sie hatte. Und irgendwie war er dann mit sechzehn in die Verantwortlichkeiten eines erwachsenen Mannes hineingewachsen. Er hatte die Farm am Laufen gehalten und dabei noch einige Nebenjobs gehabt. Es war absolut bewundernswert, wie er seine Mutter und seine Schwestern unterstützt hatte. Aber darüber hat niemand je ein Wort verloren.
    Allie fragte sich, warum seine vielen guten Taten von niemandem honoriert wurden. Er hatte seinen Highschool-Abschluss geschafft, obwohl er die Verantwortung eines Familienoberhauptes trug und die Arbeit von zwei Männern erledigen musste. Und mit derselben Energie hatte er das College gemeistert, wobei er den Abschluss schon nach zweieinhalb statt nach vier Jahren in der Tasche gehabt hatte.
    “Ihre Mutter kann froh sein, einen Sohn wie Sie zu haben”, meinte Allie.
    Er trank seinen Wein aus. “Es wäre eine größere Hilfe für sie gewesen, wenn sie jemanden an ihrer Seite gehabt hätte, der zwanzig Jahre älter gewesen wäre als ich.”
    “Sie haben getan, was Sie konnten. Mehr konnte sie nicht verlangen.”
    Nachdenklich schwieg er.
    Sie drehte sich zu ihm, um ihm ins Gesicht zu blicken. “Was ist los?”
    “Nichts. Ich bin einfach nur müde.”
    Er lehnte seinen Kopf gegen die Wand, und Allie rutschte ein wenig näher an ihn und seine Körperwärme heran. Als Antwort legte er seinen Arm um sie, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt. Sie spürte so etwas wie einen natürlichen, sehr ausgeprägten Beschützerdrang bei ihm.
    Hieß das aber womöglich auch, dass er im Fall des verschwundenen Reverends jemanden beschützte – zum Beispiel seine Mutter?
    Allie war drauf und dran, Clay über die entscheidende Nacht zu befragen, als sie feststellte, dass er eingeschlafen war.
    Um ihn nicht zu stören, legte sie ihre Wange an seine Brust und lauschte den regelmäßigen Schlägen seines Herzens. Clay war ganz und gar nicht so, wie sie erwartet hatte. Er war viel sensibler und tiefgründiger. Eine Menge Leute, ihr Vater inbegriffen, würden sich sehr schwertun, das zu glauben, da war sie sich sicher. Clay war der unverstandenste Mensch, den sie kannte.
    Wir müssen gehen, sagte sie sich. Aber sie selbst war auch erschöpft.
Nur noch zehn Minuten …
    Das Nächste, was Allie hörte, war das Vogelgezwitscher in den Bäumen. Es war Morgen.

10. KAPITEL
    A llies erster Gedanke war, dass sie soeben die Nacht mit Clay Montgomery verbracht hatte – ihr zweiter, dass er nicht einmal versucht hatte, sie zu küssen. Und sie wusste nicht, ob sie das erleichterte oder enttäuschte. Einen kleinen Knacks gab seine mangelnde Initiative ihrem Selbstwertgefühl schon, das musste sie zugeben. Zwar hatte sie nicht ernsthaft mit einem Verführungsversuch gerechnet. Sie war nicht sein Typ, das wusste sie. Aber dass er jetzt, nachdem sie mehrere Stunden in seinen Armen geschlafen hatte, so tat, als wäre das nicht das geringste Problem für ihn, nicht die kleinste Versuchung …
    “Wir müssen zurück”, brummelte sie und rückte von seinem warmen Körper ab. “Wenn Whitney aufwacht, muss ich zu Hause sein.”
    Clay hatte die Augen im gleichen Moment geöffnet, als sie sich zu regen begann. Und er war so aufmerksam, als müsste er nicht, wie andere Sterbliche, erst durch verschiedene Stadien des Aufwachens taumeln.
    Allie gähnte. Sie vermutete, dass diese sofortige Wachheit daher rührte, dass er auf die Farm aufpassen musste. Konnte Clay überhaupt je richtig abschalten?
    “Stimmt was nicht?”, fragte sie,

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