Totgeglaubt
hab.”
Er presste seine Stirn gegen die kühle Fensterscheibe. Sie wollte sich
ihm
anvertrauen? “Was denn?”, fragte er und schloss die Augen.
“Ich habe einen leuchtend roten Lippenstift gefunden. Unter dem Beifahrersitz im Auto meines Vaters.”
Clay umklammerte den Telefonhörer noch fester und begann, im Raum umherzulaufen. Genau das hatte er befürchtet. Seine Mutter hatte ihr Techtelmechtel mit McCormick beendet – aber womöglich nicht rechtzeitig genug. Denn wenn die Affäre jetzt, nachträglich, ans Licht käme, wäre der Schaden nicht weniger groß, als wenn sie mittendrin aufgeflogen wäre. “Und der gehört nicht deiner Mutter?”, fragte er.
“Nein, sie trägt keine knalligen Farben.”
“Sprichst du eigentlich vom Streifenwagen?”
“Ja.”
Am Ende des Raumes machte Clay kehrt und überquerte den Teppich in die andere Richtung. “Dann könnte er also vielen Frauen gehören, oder?”
“Theoretisch schon, aber … ich weiß nicht. Das ist nämlich noch nicht alles. Es klingt vielleicht albern, aber … es gibt da noch so eine Bärchen-Kaffeetasse, die mein Dad seit Neuestem benutzt. Anfangs dachte ich noch, er würde sich einfach die erstbeste Kaffeetasse aus dem Regal nehmen. Aber nein. Jeden Tag nimmt er sich den Teddy. Und in seiner Adresskartei steht die Nummer eines Blumenladens in Corinth.”
“Was ist daran so außergewöhnlich?”
“Ich kann mich nicht erinnern, dass er meiner Mutter je Blumen geschickt hat.”
“Vielleicht hat er das ja vor.”
“Nein. Irgendetwas stimmt da nicht. Meine Mutter geht gut damit um, aber ich glaube nicht, dass er ihr noch die gleiche Aufmerksamkeit schenkt wie früher. Wenn er zu Hause ist, nimmt er sie kaum wahr.”
“Sie sind schon lange verheiratet.”
“Das ist keine Entschuldigung.”
Clay verfluchte sich leise und drehte sich einmal um die eigene Achse. “Was willst du wegen des Lippenstifts unternehmen?”
“Ich behalte ihn, bis ich mir einen Reim darauf machen kann, was da vor sich geht. Und ich werde wohl die Anglerhütte mal genauer unter die Lupe nehmen, wenn wir morgen Abend dort sind.”
“Wir waren doch gerade da. Wenn es irgendwelche Hinweise gegeben hätte, dann hättest du sie doch sicher bemerkt, oder?”
“Ich habe nicht wirklich darauf geachtet. Aber wenn mein Vater eine Affäre hat, dann muss er die Frau ja irgendwo treffen. Die Anglerhütte bietet sich da geradezu an …”
Clay stellte sich vor, wie er mit Allie die Hütte inspizierte und versuchte, jeden Beweis, den er fand, unauffällig in seine Tasche zu schieben. Ihm war klar, dass er das nicht konnte. Er wollte nicht, dass das, was seine Mutter getan hatte, seinen Schwestern schadete und Allie wehtat. Deshalb würde er alles daransetzen, um Irenes Affäre als Geheimnis mit ins Grab zu nehmen. Aber er konnte nicht länger so tun, als wäre er Allies Vertrauter, er konnte sie nicht länger im Glauben lassen, für sie da zu sein, wenn sie ihn brauchte, während er in Wirklichkeit seine eigenen Interessen verfolgte. Er war wahrlich kein Heiliger, aber er war auch nicht so durchtrieben, um ihr Vertrauen in diesem Maße zu missbrauchen.
“Ich fürchte, ich werde dir dabei nicht helfen können”, sagte er deshalb.
Sie antwortete erst nach einigen Sekunden. “Du sagst also ab?”
Er räusperte sich. “Ja. Ich gerate da in einen Konflikt.”
“Kein Problem”, sagte sie, aber er spürte, wie sehr sie sich bemühte, sich nichts anmerken zu lassen.
“Warum nimmst du nicht eine Freundin mit?”, riet er. “Du solltest nicht alleine rausfahren.”
“Nein. Bei der Sache möchte ich niemanden dabeihaben. Ich mach das alleine.”
Er ließ seinen Kopf nach vorne fallen und massierte sich die Stirn. “Es tut mir leid”, sagte er, obwohl er wusste, dass diese Entschuldigung sie nicht trösten würde.
“Mach dir keine Gedanken. Wir hätten uns sowieso niemals treffen sollen.”
Es lag kein Zorn in ihrer Stimme. Es war eine nüchterne Feststellung. Und sie hatte recht. “Ich weiß.”
“Ist das der wahre Grund, warum du morgen Abend nicht mitkommen willst?”
“Ja.”
Er hörte sie seufzen und wollte ihr sagen, wie sehr er sich wünschte, dass es alles ganz anders wäre. Aber was würde das nützen?
“Darf ich dir noch eines sagen?”, fragte sie.
Er machte sich auf das Schlimmste gefasst: “Was?”
“Ich habe noch nie jemanden wie dich getroffen”, sagte sie und legte auf.
Allie saß auf dem Bürostuhl ihres Vaters und starrte dumpf
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