Totgeglaubte leben länger: 8. Fall mit Tempe Brennan
dem ersten Jahrhundert, die ich gerade ausgrabe, angefordert habe. Wahrscheinlich weil es auch in Masada eine Synagogenstätte aus dem ersten Jahrhundert gibt. Das Ding kam mir wieder in den Sinn, als ich gerade beim Frühstück saß. Ich erinnerte mich noch vage daran, damals ein Memo von Haas überflogen zu haben. Es hatte nichts zu tun mit der Stätte in Talpiot, also legte ich es beiseite. Ich habe ein bisschen in meinen Unterlagen gewühlt, und da war es. Erst heute Morgen habe ich es richtig gelesen.«
»Erwähnt Haas ein isoliertes, anatomisch korrekt angeordnetes Skelett?«
»Nein. Aus diesem Memo geht ganz deutlich hervor, dass er dieses Skelett nie gesehen hat.« Ein breites Grinsen. »Aber er erwähnt Schweineknochen.«
»Schweineknochen?«
Ein Nicken.
»Was sagt er?«
Jake übersetzte vom Blatt: »›Das hat nichts zu tun mit dem Rätsel des Schweine- tallith. ‹«
»Was soll das heißen?«
»Keine Ahnung, aber ein Schweine- tallith -Rätsel oder -Problem erwähnt er zwei Mal.«
»Was haben Schweineknochen in Masada zu suchen? Und was hat das mit Höhle 2001 zu tun?«
Jake ignorierte meine Fragen. »Noch was anderes. Yadin schätzte, dass es mehr als zwanzig Höhlenskelette waren, aber Haas katalogisierte nur zweihundertzwanzig einzelne Knochen. Er unterteilt sie in zwei Kategorien: solche, deren Alter klar ist, und solche, die nicht so leicht einzuordnen sind.«
Wieder übersetzte er vom Blatt: »In der klaren Kategorie listet er einhundertvier alte, dreiunddreißig erwachsene, vierundzwanzig jugendliche und sieben kindliche Knochen auf.« Jake hob den Kopf. »Außerdem sagt er, dass sechs Knochen Damen gehörten.«
Ein erwachsenes, menschliches Skelett besteht aus 206 Knochen. Ich stellte ein paar schnelle Berechnungen an.
»Haas hat zweihundertzwanzig Knochen katalogisiert. Das würde bedeuten, dass ungefähr sechsundneunzig Prozent der Skelette fehlten.«
Ich sah, wie Jake an der Hornhaut auf seinem Handballen knabberte.
»Hast du eine Kopie des Fotos in Yadins Buch?«
Jake ging zu seinen Unterlagen und kehrte mit einer Schwarz-Weiß-Aufnahme zurück.
»Fünf Schädel«, sagte ich.
»Da ist noch eine Unstimmigkeit. Tsafrir schrieb in seinem Ausgrabungstagebuch, dass in der Höhle zehn bis fünfzehn Skelette gewesen wären, nicht über zwanzig und auch nicht fünf.«
Ich hörte nicht mehr richtig zu. Etwas an diesem Foto hatte meine Aufmerksamkeit geweckt.
Etwas Bekanntes.
Etwas, was nicht stimmte.
»Kann ich mir das mal genauer anschauen?«
Jake führte mich ins hintere Zimmer. Ich setzte mich vors Mikroskop, schaltete das Licht an und richtete die Linse auf den mittleren Schädel.
»Das gibt’s doch nicht.«
»Was?«
Ich stellte die Vergrößerung höher, fing in der oberen linken Ecke des Fotos an und bewegte mich quer über den Abzug.
Irgendwann sagte Jake etwas. Ich stimmte ihm zu.
Irgendwann später bemerkte ich, dass Jake gar nicht mehr bei mir war.
Mit jedem körnigen Detail wurde meine Befürchtung stärker. Dieselbe Befürchtung, die ich gespürt hatte, als ich Max’ schlecht sitzenden Zahn entdeckte.
War das denn niemandem aufgefallen? Hatten alle Experten sich getäuscht?
Täuschte ich mich?
Wieder fing ich in der oberen linken Ecke an.
Zwanzig Minuten später richtete ich mich auf.
Ich hatte mich nicht getäuscht.
32
Jake war in der Küche und schluckte eben ein Aspirin.
»Diese Leichen wurden nicht einfach nur in die Höhle geschmissen.« Ich wedelte mit Yadins Foto. »Die wurden dort richtig bestattet. In Gräbern angeordnet.«
»Unmöglich!«
Ich legte das Foto auf die Anrichte. »Schau dir Hände und Füße an.«
»Die sehen nicht sehr hingeschmissen aus«, gab Jake zu. »Sie liegen in der anatomisch korrekten Anordnung.«
»Was darauf hindeutet, dass es sich zumindest bei einigen um Primärbestattungen handelt.«
»Auf diese Art hat das noch niemand interpretiert. Aber warum ist alles andere so durcheinander?«
»Jetzt schau dir die langen Knochen an. Da.« Mit einem Kuli deutete ich auf ein kleines Loch. »Und da.« Ich deutete auf ein zweites.
»Zahnspuren?«
»Da kannst du Gift drauf nehmen.« Ich tippte auf mehrere Knochen und einige lange, zersplitterte Fragmente. »Die wurden aufgebrochen, um das Mark herauszusaugen. Und sieh dir das an.« Ich bewegte meinen Kuli zu einem Loch in einer Schädelbasis. »Irgendein Tier hat versucht, dieses Hirn zu fressen.«
»Was willst du damit sagen?«
»Das war nicht nur eine Leichenhalde. Das
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