Totgeglaubte leben länger: 8. Fall mit Tempe Brennan
war ein kleiner Friedhof, über den sich Tiere hergemacht haben. Es war nicht so, dass die römischen Soldaten nach der Belagerung einfach die Leichen in die Höhle geworfen haben. Menschen haben sich die Zeit genommen, Gräber auszuheben und diese Leichen hineinzulegen. Tiere haben sie später wieder ausgebuddelt.«
»Wenn die Höhle als Friedhof genutzt wurde, warum dann die Kochtöpfe und die Lampen und der Küchenabfall?«
»Vielleicht war die Höhle zu einer früheren Zeit bewohnt und wurde erst später zur Begräbnisstätte. Oder vielleicht war eine angrenzende Höhle bewohnt, und 2001 wurde als Begräbnisstätte und zur Abfallentsorgung genutzt. Mein Gott, ich weiß es nicht. Du bist der Archäologe. Aber das Vorhandensein eines Friedhofs hieße, dass die Theorie, römische Soldaten hätte die Leichen da hineingeworfen, falsch ist.«
Jake klang noch immer skeptisch. »Verwüstungen durch Hyänen und Schakale sind hier seit Jahrhunderten ein Problem. Im Altertum wurden sowohl christliche wie jüdische Gräber in der nördlichen Negev mit Steinplatten bedeckt, damit Raubtiere die Leichen nicht ausbuddeln konnten. Moderne Beduinen verwenden noch immer Steine.«
»Wenn ich mir dieses Foto anschaue, denke ich, dass es zwei oder drei Einzelbestattungen gab und vielleicht ein Gemeinschaftsgrab für fünf oder sechs Individuen«, sagte ich. »Die Höhle wurde vermutlich bereits kurz nach den Bestattungen verwüstet. Deshalb sieht alles so chaotisch aus.«
»Von Hyänen weiß man, dass sie Überreste in ihren Bau zerren.« Jetzt schon weniger skeptisch. »Das würde die große Zahl fehlender Knochen erklären.«
»Genau.«
»Okay. Die Höhle enthielt Gräber. Und? Wir wissen noch immer nicht, wessen.«
»Nein«, gab ich zu. »In Haas’ Memo werden Schweineknochen erwähnt. Würden die denn nicht darauf schließen lassen, dass die Gräber keine jüdischen waren?«
Jake zuckte mit einer knochigen Schulter. »Haas spricht vom Rätsel des Schweine- talliths , was immer das heißen mag, aber es ist nicht klar, ob dieses Schwein und sein Gebetsschal je gefunden wurden. Schweineknochen in der Höhle könnten darauf hindeuten, dass die Leichen die von römischen Soldaten waren. Diese Interpretation hat ihre Befürworter. Sie könnten aber auch darauf hindeuten, dass die Knochen von byzantinischen Mönchen stammten. Im fünften und sechsten Jahrhundert hatten die Mönche in Masada eine kleine Kolonie.«
»Laut Haas gehörten zu den Überresten in der Höhle die von sechs Frauen und einem sechs Monate alten Fötus. Das klingt für mich nicht nach römischen Soldaten«, sagte ich. »Oder nach Mönchen.«
»Und vergiss nicht, die Stoffreste, die zwischen den Knochen gefunden wurden, ergaben eine Datierung auf die Zeit zwischen vierzig und hundertfünfzehn unserer Zeitrechnung. Das ist viel zu früh für Mönche.«
Jake konzentrierte sich wieder auf das Foto.
»Deine Interpretation dieser Anordnung als verwüsteter Friedhof klingt ziemlich einleuchtend, Tempe. Erinnerst du dich noch an die Palast-Skelette?«
Ich tat es.
»Yadins Buch vermittelt den Eindruck, er hätte drei voneinander getrennte Individuen, einen jungen Mann, eine Frau und einen kleinen Jungen gefunden. Er schloss daraus – und zwar in ziemlich dramatischen Worten, könnte ich hinzufügen –, dass es sich bei den Palast-Skeletten um die letzten Verteidiger von Masada handelte.«
»Und das stimmt nicht so recht?«
»Es ist ziemlich weit hergeholt. Vor nicht allzu langer Zeit erhielt ich Zugang zu Archivmaterial über die Loci im nördlichen Palast, darunter auch alle Tagebücher und Fotos. Ich hatte erwartet, drei voneinander getrennte Skelette zu sehen. Aber dem war nicht so. Die Knochen waren durcheinander geworfen und sehr fragmentarisch. Moment mal.«
Jake legte das Foto weg und nahm das Haas-Memo zur Hand.
»Hab ich’s mir doch gedacht. Haas spricht ebenfalls von den Palast-Skeletten. Er beschreibt beide männlichen als Erwachsene, der eine etwa zweiundzwanzig, der andere etwa vierzig Jahre alt.«
»Also kein Junge, wie Yadin ihn beschrieb.«
»Nein. Und soweit ich mich erinnere, waren von einem männlichen Skelett nur Beine und Füße vorhanden.«
Ich wollte etwas sagen. Jake unterbrach mich.
»Und noch was. In seinem Ausgrabungstagebuch erwähnt Yadin Tierkot in dem Palastlocus.«
»Es könnte also sein, dass Hyänen oder Schakale drei Teilkörper von woanders dorthin geschleift haben.«
»Das ergibt ein deutlich anderes Bild als
Weitere Kostenlose Bücher