Totgeglaubte leben länger: 8. Fall mit Tempe Brennan
Streichelten meine Wange. Meinen Hals.
Ich fühlte mich zufrieden. Ruhig. Eine Million Meilen von Skeletten und zersplitterten Schädeln entfernt.
Ryan besteht aus sehnigen, drahtigen Strängen. Langen. Nach einer Weile spürte ich einen Strang noch länger werden.
Wir überließen es Birdie, auf das Feuer aufzupassen.
5
Am nächsten Morgen musste Ryan früh los. Irgendwas wegen Allwetter-Gürtelreifen und Auswuchten und einer verbogenen Felge. Um sieben Uhr morgens bin ich kein guter Zuhörer. Außerdem interessieren mich Reifen absolut nicht.
Was mich schon eher interessiert, sind die Flugverbindungen zwischen Charlotte und Montreal. Ich kann den gesamten Flugplan von USAirways auswendig hersagen. Da ich wusste, dass man den täglichen Direktflug gestrichen hatte, war ich mir sicher, dass Jake erst am Nachmittag ankommen würde. Ich drehte mich um und schlief noch einmal ein.
Ein Bagel und Kaffee gegen acht, und dann fuhr ich ins Labor. Ich musste für fünf Tage weg, und ich wusste, dass die Ferris-Familie auf Informationen wartete.
Und auf die Leiche.
Ich verbrachte einen Elmer’s-Vormittag damit, die Segmente zusammenzusetzen, die ich am Tag zuvor rekonstruiert hatte. So wie man Atome zu Molekülen und die zu ganzen Zellen zusammensetzt, baute ich immer größere Abschnitte des Schädelgewölbes auf.
Die Gesichtsknochen waren eine andere Geschichte. Hier gab es umfangreiche Splitterungen, entweder wegen der Katzen oder einfach der fragilen Natur der dortigen Knochen. Die linke Seite von Ferris’ Gesicht war nicht zu rekonstruieren.
Dennoch schälte sich ein Muster heraus.
Obwohl die Linien sehr komplex waren, zeigte sich, dass kein Riss die von dem Loch hinter Ferris’ Ohr ausgehenden strahlenförmigen Brüche überquerte. Die Bruchsequenz deutete also auf diese Wunde als Eintrittsloch hin.
Aber warum waren die Lochränder auf der Außenseite des Schädels abgeschrägt? Ein Eintrittsloch hätte auf der Innenseite abgeschrägt sein müssen.
Mir fiel nur eine Erklärung ein, aber aus dem Bereich links oberhalb des Defekts fehlten Fragmente. Um sicherzugehen, brauchte ich diese Fragmente.
Um zwei schrieb ich LaManche einen Zettel, auf dem ich ihm erklärte, was mir fehlte. Ich erinnerte ihn daran, dass ich vorhatte, zum Jahrestreffen der American Academy of Forensic Sciences nach New Orleans zu fliegen und dass ich erst am Mittwochabend wieder in Montreal sein würde.
In den nächsten zwei Stunden erledigte ich Kleinkram. Bank. Reinigung. Katzenfutter. Vogelfutter. Ryan hatte zwar versprochen, Birdie und Charlie zu übernehmen, aber der Mann hatte interessante Ansichten über Haustierpflege. Ich wollte einfach die Chancen auf anständige Ernährung meiner Lieblinge erhöhen.
Jake rief an, als ich eben in meine Tiefgarage fuhr. Er stehe in der Vorhalle. Ich eilte nach oben, ließ ihn zur Haustür herein und führte ihn den Korridor entlang zu meiner Wohnung.
Unterwegs erinnerte ich mich an meine erste Begegnung mit Jake Drum. Ich war damals neu am UNCC und hatte erst wenige Fakultätsangehörige außerhalb meiner Disziplin kennen gelernt. Keinen von der Abteilung für Religiöse Studien. Spät eines Abends tauchte Jake in meinem Labor auf, zu einer Zeit, als Angriffe auf Studentinnen zu Sicherheitswarnungen auf dem gesamten Campus geführt hatten.
Ich war nervös wie eine Maus im Terrarium, die eine ausgehungerte Python anstarrt.
Meine Ängste waren unbegründet. Jake hatte nur eine Frage in Bezug auf Knochenkonservierung.
»Tee?«, fragte ich ihn jetzt.
»Aber sicher. Im Flugzeug habe ich nur Brezeln und Sprite bekommen.«
»Das Geschirr steht hinter dir.«
Ich sah zu, wie Jake Tassen aussuchte und dachte mir dabei, was für schlechte Karten er als Verdächtiger hätte. Seine Nase ist dünn und vorstehend, die Brauen verlaufen buschig und kerzengerade über Rasputin-schwarzen Augen. Er ist eins füntundneunzig groß, wiegt knappe fünfundachtzig Kilo und rasiert sich den Schädel.
Zeugen würden Jake genau so beschreiben, wie er ist.
An diesem Tag vermutete ich, dass er die Leute auf dem Bürgersteig dazu gebracht hatte, einen weiten Bogen um ihn zu machen. Seine Aufregung war spürbar.
Wir plauderten ein bisschen, während wir auf den Kessel warteten.
Jake hatte ein Zimmer in einem kleinen Hotel am Westrand des Campus der McGill University. Er hatte sich ein Auto gemietet, um am nächsten Morgen nach Toronto zu fahren. Am Montag würde er nach Jerusalem aufbrechen, wo er mit seinem
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