Totgeglaubte leben länger: 8. Fall mit Tempe Brennan
eigentlich oben das Sagen?«
»Eleazar ben Ya’ir. Die Juden waren seit sieben Jahren dort, und sie waren ebenso entschlossen zu bleiben, wie Silva entschlossen war, sie zu vertreiben.«
Weitere Erinnerungsbruchstücke der Miniserie. Jahrzehnte zuvor hatte Herodes Masada mächtig ausbauen lassen, er hatte eine Kasemattenmauer um die Spitze herum in Auftrag gegeben, Verteidigungstürme, Lagerhäuser, Baracken und Arsenale und ein Zisternensystem für das Auffangen und Speichern von Regenwasser. Siebzig Jahre nach dem Tod des alten Königs waren die Lagerhäuser noch immer gefüllt, und die Zeloten hatten alles, was sie brauchten.
»Die Hauptquelle in Bezug auf Masada ist Flavius Josephus«, fuhr Jake fort. »Joseph Ben Matatyahu auf Hebräisch. Am Anfang der Sechsundsechziger-Revolte diente Josephus als jüdischer Kommandant in Galiläa. Später lief er zu den Römern über. Ungeachtet seiner mangelnden Loyalität war der Kerl ein brillanter Historiker.«
»Und zu der Zeit der einzige Reporter vor Ort.«
»Das ist das eine. Aber Josephus’ Beschreibungen waren auch erstaunlich detailliert. Laut seinem Bericht rief Eleazar ben Ya’ir in der Nacht, als die Festung gestürmt wurde, seine Gefolgsleute zusammen.«
Jake beugte sich vor und beschrieb die Szenerie.
»Stell dir das mal vor. Die Mauer brannte. Bei Sonnenaufgang würden die Römer hereinstürmen. Eine Fluchtmöglichkeit gab es nicht mehr. Ben Ya’ir argumentierte, dass ein ehrenvoller Tod einem Leben in Sklaverei vorzuziehen sei. Durch Losentscheid wurden zehn Männer bestimmt, die die Aufgabe hatten, alle anderen zu töten. Und die zehn losten unter sich aus, wer von ihnen seine Kollegen und anschließend sich selbst umbringen sollte.«
»Es gab keine Dissidenten?«
»Falls es welche gab, wurden sie einfach überstimmt. Zwei Frauen und ein paar Kinder konnten sich verstecken und überlebten. Der Großteil von Josephus’ Informationen kam von ihnen.«
»Wie viele starben?«
»Neunhundertsechzig Männer, Frauen und Kinder«, sagte Jake mit leiser Stimme. »Die Juden betrachten Masada als eine der dramatischsten Episoden in ihrer Geschichte. Vor allem die israelischen Juden.«
»Was hat Masada mit Kesslers Foto zu tun?«
»Das Schicksal der Überreste der jüdischen Zeloten war schon immer ein Geheimnis. Laut Josephus’ Angaben errichtete Silva unmittelbar nach der Eroberung Masadas auf dem Gipfel eine Garnison.«
»Aber Masada wurde doch sicher ausgegraben.«
»Jahrelang war jeder Ausgräber auf dem Planeten ganz heiß auf eine Genehmigung. Ein israelischer Archäologe namens Yigael Yadin bekam schließlich den Zuschlag. Yadin arbeitete mit einem Team von Freiwilligen zwei Saisons lang vor Ort. Die erste dauerte von Oktober dreiundsechzig bis Mai vierundsechzig, die zweite von November vierundsechzig bis April fünfundsechzig.«
So langsam dämmerte mir, worauf Jake hinaus wollte.
»Yadins Team entdeckte menschliche Überreste?«
»Drei Skelette. Auf der unteren Terrasse der Palastvilla des Herodes.«
»Palastvilla?«
»Wegen der periodischen Aufstände war der alte Knabe ziemlich nervös, also baute er Masada zu einer Art Bunker aus, sollten er und seine Familie je fliehen müssen. Und Herodes hatte es nicht so mit dem spartanischen Leben. Zusätzlich zu der Mauer und den Verteidigungstürmen gab er Paläste samt Säulengängen, Mosaiken, Fresken, Terrassen, Gärten und allem in Auftrag.«
Ich deutete auf das Foto. »Ist das eins der drei?«
Jake schüttelte den Kopf. »Laut Yadin war ein Skelett das eines Mannes Mitte zwanzig. Nicht weit entfernt lagen die Knochen einer jungen Frau mit perfekt erhaltenen Haaren und Sandalen. Das ist kein Witz. Ich habe die Fotos gesehen. Die Haare der Frau sahen aus, als hätte sie sie an dem Morgen, an dem sie ausgegraben wurde, frisch geflochten.«
»Trockenheit ist ein guter Konservator.«
»Ja. Obwohl die Überreste nicht unbedingt dem entsprachen, was Yadin in sie hineininterpretierte.«
»Was meinst du damit?«
»Ist nicht wichtig. Nach Yadin war das dritte Skelett das eines Kindes.«
»Was ist mit diesem Kerl?« Wieder deutete ich auf Kesslers Foto.
»Dieser Kerl.« Jake spannte die Kiefermuskeln an und entspannte sie wieder. »Dieser Kerl hätte eigentlich überhaupt nicht da oben sein dürfen.«
6
»Hätte nicht da oben sein dürfen?«
»Das ist meine Theorie.«
»Gibt’s Leute, die diese Ansicht teilen?«
»Einige.«
»Wer ist er?«
»Das ist die große Frage.«
Ich lehnte
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