Totgeglaubte leben länger: 8. Fall mit Tempe Brennan
du glaubst, dass dieses Skelett nicht mit dem Rest der Höhlen- und Palast-Knochen wiederbestattet wurde?«
Jake nickte noch einmal.
Ich tippte auf Kesslers Foto. »Konnte sich dieser Freiwillige auch erinnern, ob Fotos geschossen wurden?«
»Er hat sie selber geschossen.«
»In wessen Besitz waren die Überreste während der fünf Jahre über der Erde?«
»Haas hatte sie.«
»Hat er veröffentlicht?«
»Keine Zeile. Und normalerweise schrieb Haas ausführliche Berichte mit Zeichnungen, Tabellen, Maßangaben, sogar Gesichtsrekonstruktionen. Seine Analyse der Begräbnisstätten in Giv’at ha-Mivtar ist unglaublich detailliert.«
»Ist er noch am Leben?«
»Haas stürzte fünfundsiebzig schwer. Er fiel ins Koma. Und starb siebenundachtzig, ohne das Bewusstsein wiedererlangt zu haben. Oder einen Bericht geschrieben zu haben.«
»Haas kann also zur Frage nach der Gesamtzahl der Leichen oder zu dem Rätsel um das intakte Skelett nichts Klärendes mehr beitragen.«
»Ohne Séance nicht.«
»Hey, big spender …« Charlie hielt sich an den Gassenhauer.
Jake schlug jetzt eine andere Richtung ein. »Folgendes. Stell dir vor, du bist Yadin. Du hast diese komischen Knochen aus der Höhle. Was würdest du als Erstes tun?«
»Heute?«
»In den Sechzigern.«
»Da war ich gerade dabei, meine Milchzähne zu verlieren.«
»Spiel doch einfach mal mit.«
»Radiokarbon-Untersuchung. Altersbestimmung.«
»Man hat mir gesagt, dass zu der Zeit in Israel Radiokarbon-Untersuchungen noch nicht vorgenommen wurden. Aber jetzt beziehe mal das Folgende mit ein. In seinen Schmähreden vor der Knesset beharrte Lorinez darauf, dass einige Masada-Skelette außer Landes gebracht worden seien.«
»Lorinez war das ultraorthodoxe MK, das für die Wiederbestattung stritt?«
»Ja. Und was Lorinez sagte, ergibt einen Sinn. Warum hätte Yadin keine Radiokarbon-Untersuchung an diesen Knochen aus der Höhle anfordern sollen?«
»Du glaubst also, dass Lorinez Recht hatte?«
»Ja. Aber laut Yadin haben keine Masada-Knochen das Land verlassen.«
»Warum nicht?«
»In einem Post -Interview, das ich gelesen habe, behauptete Yadin, es sei nicht seine Aufgabe, solche Untersuchungen zu initiieren. Im selben Artikel machte ein Anthropologe die Kosten dafür verantwortlich.«
»Eine Radiokarbon-Datierung ist doch nicht so teuer.« Schon Anfang der Achtziger kosteten solche Tests nur noch etwa hundertfünfzig Dollar. »Schon überraschend, dass Yadin keine angefordert hat, in Anbetracht der Bedeutung der Fundstätte.«
»Nicht so überraschend wie Haas’ Versäumnis, die Höhlenknochen schriftlich zu dokumentieren«, sagte Jake.
Ich ließ mir all das eine Weile durch den Kopf gehen. Dann: »Du vermutest also, dass die Leute aus der Höhle gar nicht zu der Hauptzelotengruppe gehörten?«
»Ja.«
Ich nahm Kesslers Foto zur Hand.
»Und dass dies hier das nicht gemeldete intakte Skelett ist.«
»Ja.«
»Du glaubst, dass dieses Skelett möglicherweise aus Israel herausgebracht und nicht wieder mit den anderen beerdigt wurde?«
»Ja.«
»Warum nicht?«
»Das ist die Eine-Million-Dollar-Frage.«
Ich starrte das Foto an.
»Wo ist dieser Kerl jetzt?«
»Die Antwort darauf, Dr. Brennan, bringt Ihnen noch eine Million ein.«
7
Jedes Jahr hat eine glücklose Stadt die zweifelhafte Ehre, Austragungsort der Hauptversammlung der American Academy of Forensic Sciences zu sein. Eine Woche lang strömen Techniker, Psychiater, Zahnärzte, Anwälte, Pathologen, Anthropologen und unzählige Labor-Freaks dort zusammen wie Motten auf einem zusammengerollten Wollteppich. Dieses Jahr zog New Orleans das kürzere Streichholz.
Von Montag bis Mittwoch herrschen Vorstands-, Ausschuss- und Geschäftsbesprechungen vor. Am Donnerstag und am Freitag bieten wissenschaftliche Sitzungen Insidertipps zu den allerneuesten Tendenzen in Theorie und Praxis an. Als Doktorandin und dann als frisch gebackene Beraterin besuchte ich diese Veranstaltung mit dem glühenden Eifer einer religiösen Fanatikerin. Inzwischen ist mir das informelle Netzwerk alter Freundschaften lieber.
Egal, wie man an diese Konferenz herangeht, anstrengend ist sie allemal.
Das ist auch mein Fehler. Ich melde mich für zu viel. Soll heißen, dass ich mich Drängen nicht energisch genug widersetze.
Am Sonntag arbeitete ich mit einem Kollegen an einem gemeinsamen Artikel für das Journal of Forensic Sciences . Die nächsten Tage vergingen in einem Nebel aus Robert’s Rules zu Verfahrensfragen,
Weitere Kostenlose Bücher