Totgeglaubte leben länger: 8. Fall mit Tempe Brennan
Remoulade und Runden von Getränken. Cocktails für meine kontrolliert trinkenden Kollegen. Perrier für mich.
Die Unterhaltungen drehten sich vor allem um zwei Themen: frühere Eskapaden und verrückte Fälle. Ganz oben auf der diesjährige Hitliste des Bizarren und Verblüffenden standen Gallensteine so groß wie Rice Crispies, ein Selbstmord in einem Gefängnis mit einer Telefonschnur und ein schlafwandelnder Polizist mit einer Kugel aus seiner eigenen Waffe im Hirn.
Ich ging mit meinem Ferris-Fall hausieren. Es gab unterschiedliche Meinungen in Bezug auf die merkwürdigen Abschrägungen. Die meisten jedoch waren mit dem Szenario einverstanden, das ich mir zurechtgelegt hatte.
Mein Terminplan ließ es nicht zu, dass ich auch noch die wissenschaftlichen Vorträge hörte. Als ich am Mittwoch im Taxi zum Flughafen von New Orleans saß, war ich fix und fertig.
Mechanische Probleme. Vierzig Minuten Verspätung. Willkommen im amerikanischen Flugverkehr. Checke eine Minute zu spät ein, und deine Maschine ist bereits weg. Checke eine Stunde vorher ein, und deine Maschine hat Verspätung. Mechanische Probleme, Probleme mit der Crew, Wetterprobleme, Problemprobleme. Ich kannte das alles.
Eine Stunde später hatte ich alle Sitzungsprotokolle in meinen Laptop eingegeben, und mein 17-Uhr-40-Flug wurde jetzt für 20 Uhr angekündigt.
So viel zur Chicago-Verbindung.
Frustriert schleppte ich mich zum Service-Schalter, stellte mich in die Schlange und buchte eine neue Route. Die gute Nachricht: Ich würde noch in dieser Nacht in Montreal ankommen. Die schlechte Nachricht: Ich würde erst kurz vor Mitternacht landen. Und die zusätzliche schlechte Nachricht: Ich würde unterwegs Detroit besuchen.
Ein Wutausbruch bringt in einer solchen Situation wenig, außer dass er den Blutdruck erhöht.
In der Flughafenbuchhandlung versperrten mir eine Million Exemplare des diesjährigen Megasellers den Weg. Ich zupfte mir eins aus der Pyramide. Der Klappentext pries ein Geheimnis an, das eine »uralte explosive Wahrheit« zertrümmern würde.
Wie Masada?
Warum nicht? Der Rest des Universums las das Ding ja auch.
Bis zur Landung hatte ich vierzig Kapitel gelesen. Okay, sie waren kurz. Aber die Geschichte war faszinierend.
Ich fragte mich, ob Jake und seine Kollegen das Buch ebenfalls lasen und, falls sie es taten, was sie von der Prämisse hielten.
Der Wecker am Donnerstagmorgen war so willkommen wie eine Bindehautentzündung. Und fast so schmerzhaft.
Nach meiner Ankunft im zwölften Stock des L’Édifice Wilfrid Derome, dem Gebäude, das als Mutterschiff für die Provinzpolizei und die forensischen Institute fungiert, eilte ich direkt zur Morgenbesprechung.
Nur zwei Autopsien. Eine ging an Pelletier, die andere an Emily Santangelo.
LaManche sagte mir, dass er, auf meine schriftliche Anfrage hin, Lisa gebeten habe, sich Avram Ferris’ Kopf noch einmal vorzunehmen. Sie habe zusätzliche Fragmente entdeckt und sie aus der Leichenhalle nach oben geschickt. Er fragte mich, wann er mit einem Ergebnis meiner Untersuchung rechnen könne. Ich schätzte, am frühen Nachmittag.
Tatsächlich lagen in meinem Labor sieben Splitter neben dem Waschbecken. Ihre LSJML-Nummer entsprach der Nummer der Ferris-Leiche.
Nachdem ich meinen Labormantel angezogen hatte, hörte ich den Anrufbeantworter ab und erwiderte zwei Anrufe. Dann setzte ich mich vor meine Sandschüssel und fing an, die neuen Fragmente in meine rekonstruierten Segmente einzupassen.
Zwei waren im Scheitelbein zu Hause. Eins passte genau ins rechte Hinterhauptsbein. Eins war heimatlos.
Drei füllten den Rand des ovalen Defekts aus.
Das reichte. Ich hatte meine Antwort.
Ich wusch mir eben die Hände, als mein Handy bimmelte. Es war Jake Drum mit einer miserablen Verbindung.
»Klingt, als würdest du vom Pluto anrufen.«
»Kein Netz …«, knisterte und knackte es aus dem Gerät, »… eit Pluto herabgestuft wurde vom Planeten zum …«
Herabgestuft zu was? Zum Mond?
»Bist du in Israel?«
»Paris … Pläne geänder… im Musée de l’Homme.«
Eine Zeit lang lauschte ich transatlantischem Knacken und Rauschen.
»Rufst du mit einem Handy an?«
»… eine Archivierungsnummer entdeckt … seit den … iebzigern verscholle…«
»Jake. Ruf mich über Festnetz an. Ich kann dich kaum verstehen.«
Anscheinend konnte Jake mich auch nicht verstehen.
»… uche weiter … uf dich über Festnetz an.«
Mein Handy piepste, und die Verbindung war weg.
Ich schaltete
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