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Totgeglaubte leben länger: 8. Fall mit Tempe Brennan

Totgeglaubte leben länger: 8. Fall mit Tempe Brennan

Titel: Totgeglaubte leben länger: 8. Fall mit Tempe Brennan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathy Reichs
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glaubte es nicht.

8
    Ryan weckte mich kurz nach sechs für ein tête-à-tête vor Sonnenaufgang. Birdie flüchtete aus dem Schlafzimmer. Im Wohnzimmer krächzte Charlie eine Zeile aus Clarence Carters »Strokin’«.
    Während ich duschte, toastete Ryan Bagels und machte Kaffee. Beim Frühstück sprachen wir über eine Umerziehung des Sittichs.
    An Weihnachten hatte Ryan zwar nichts gesagt, mir war aber ziemlich schnell Charlies unorthodoxes répertoire noir aufgefallen. Als ich danach fragte, gab Ryan zu, dass unser gefiederter Liebling nach einer Razzia der Sittenpolizei in den Gewerberäumen einer Dame in seinen Besitz gelangt sei. Die Dame hatte einen eher derben Geschmack gehabt, und der Vogel hatte ihn übernommen.
    Seit Monaten versuchte ich, Charlies musikalischen und rhetorischen Talenten eine neue Richtung zu geben. Mit eher gemischten Ergebnissen.
    Um acht legte ich eine Papagei-pädagogische CD in den Player, und dann fuhren Ryan und ich gemeinsam ins L’Édifice Wilfrid Derome. Er ging in den Bereitschaftssaal der Abteilung crimes contre le personne , und ich fuhr mit dem LSJML-Aufzug in den zwölften Stock.
    Nachdem ich Großaufnahmen meiner Rekonstruktionen gemacht und den Abschlussbericht geschrieben hatte, sagte ich La Manche, dass die Überreste in meiner Verwahrung jetzt an die Ferris-Familie weitergegeben werden könnten. Die Beerdigung hatte zwar bereits stattgefunden, doch man hatte mit der Friedhofsverwaltung vereinbart, dass die Schädelfragmente neben dem Sarg bestattet werden konnten.
    Um halb elf rief ich Ryan an. Er sagte, er wolle mich in fünf Minuten in der Eingangshalle treffen. Um die Zeit totzuschlagen, ging ich in die Cafeteria und kaufte mir eine Diet Coke für unterwegs. An der Kasse legte ich dann kurz entschlossen noch eine Packung schottischer Butterkekse dazu. Man konnte ja nie wissen.
    Ryan wartete bereits, als ich in die Eingangshalle kam. Ich riss die Cola auf und steckte die Plätzchen in meine Schultertasche.
    Siebenundzwanzig Jahre lang hatte Avram Ferris sein Importgeschäft in einem Gewerbegebiet neben der autoroute de Laurentides , auf halbem Weg zwischen der Montrealer Insel und dem alten Mirabel-Flughafen, betrieben.
    Als Mirabel in den Siebzigern gebaut wurde, stellte man ihn sich als das künftige Luftfahrtjuwel Montreals vor. Das Areal liegt zwar dreißig Meilen außerhalb der Stadt, doch es war ein Hochgeschwindigkeitszug geplant, der den Flughafen mit dem Stadtzentrum verbinden sollte. Schwupp, und schon ist man am Flugsteig!
    Die Eisenbahnlinie wurde nie gebaut.
    Anfang der Neunziger waren Zu- und Abfahrt mit dem Privatwagen unerträglich und wurden immer schlimmer. Und ein Taxi in die Innenstadt kostete sechsundneunzig Dollar.
    Die Behörden warfen schließlich frustriert das Handtuch und motteten Mirabel zugunsten seines geografisch günstiger liegenden Rivalen ein. Mirabel wickelt jetzt nur noch die Fracht- und Charterflüge ab. Alle anderen Inlandsflüge, die von und nach Nordamerika und die internationalen starten und landen in Dorval, der erst vor kurzem in Pierre Elliott Trudeau International umgetauft wurde.
    Avram Ferris war das alles egal. Er hatte Les Imports Ashkenazim in der Nähe des Mirabel gegründet, und dort blieb er mit seinem Laden.
    Und dort starb er auch.
    Gewohnt hatte er in Côte-des-Neiges, einem Mittelklasse-Wohnviertel hinter dem Jewish General Hospital, knapp nordwestlich des Centre-ville.
    Ryan nahm die Décarie-Schnellstraße, bog in die Van Horne nach Osten ein und dann nach Norden auf der Plamondon zur Vézina. Er parkte am Bordstein und deutete auf ein zweistöckiges Backsteinhaus in einer Reihe aus zweistöckigen Backsteinhäusern.
    Ich musterte den Block.
    Die Häuser waren identisch, der jeweils linke Nachbar ein Spiegelbild des rechten. Alle hatten leicht vorspringende, holzgerahmte Haustüren und Balkone vor den Fenstern im Obergeschoss. Alle Zuwege waren geräumt. Alle Sträucher waren eingewickelt. In den Auffahrten standen Chevy- und Ford-Kombis unter Carports aus Stahlrohr und Wellplastik.
    »Nicht gerade die Jaguar- und Geländewagenclique«, sagte ich.
    »Sieht aus, als hätten die Hausbesitzer eine Versammlung abgehalten und jede Schmuckfarbe verboten, die nicht weiß ist.«
    Ryan deutete mit dem Kinn auf das Haus direkt gegenüber. »Ferris’ Wohnung ist oben links. Ein Bruder wohnt unten, Mama und ein zweiter Bruder in der anderen Doppelhaushälfte.«
    »Die Fahrt zur Arbeit muss für Ferris die reinste Hölle

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