Totgeglaubte leben länger: 8. Fall mit Tempe Brennan
nicht besudelt vorgekommen, wenn er menschliche Überreste an seinem Arbeitsplatz aufbewahrt hätte? Oder wäre es ihm dabei nicht zumindest mulmig gewesen? Ich ging vom Stair-Master zu einer Gewichtebank.
Vielleicht war Ferris nur der Transporteur gewesen. Vielleicht hatte er die Knochen jemand anderem übergeben.
An wem?
Äh, wen?
An jemanden, der seine und Lerners Besorgnis teilte?
Aber jeder Jude wäre dem torah -Verbot unterworfen gewesen.
An jemanden, der andere Gründe hatte, das Skelett verschwinden zu lassen.
Christliche Gründe?
Wenn Jesus nicht am Kreuz gestorben wäre, wenn Jesus weitergelebt hätte und seine Knochen im Musée de l’Homme gelandet wären, dann würde eine solche Entdeckung den Vatikan und auch die protestantische Christenheit erschüttern. Man würde diese Hypothese absolut zurückweisen müssen, denn ansonsten wäre das grundlegende Dogma des christlichen Glaubens zum Einsturz gebracht. Kein leeres Grab. Keine Engel. Keine Auferstehung. Kein Ostern. Die Untersuchungen und die Kontroverse würden monatelang weltweit Schlagzeilen machen. Jahrelang. Eine solche Debatte hätte die Welt noch nicht erlebt. Leidenschaftlichkeit und Schärfe wären überwältigend.
Ich hielt mitten im Stemmen inne.
Der dritte Freund. Der Priester aus der Beauce!
Dora hatte gesagt, die beiden Männer hätten sich sehr nahe gestanden.
Priester haben keine Skrupel in Bezug auf menschliche Knochen. Sie tragen sie als Reliquien. Betten sie in Altäre ein. Stellen sie in Kirchen in ganz Europa zur Schau.
Plötzlich war es mir sehr wichtig, diesen Priester aufzuspüren.
Ich schaute auf die Uhr. 18:30. Ich packte mein Handtuch und lief in die Umkleidekabine.
Mein Handy hatte so gut wie kein Netz. Ich zog Trainingsanzug und Jacke an und ging nach draußen.
Nach dem vierten Tuten antwortete Jake mit schlaftrunkener Stimme.
Während ich die Ste. Catherine entlangging, erzählte ich ihm von Ferris, Lerner und dem Priester.
»Ich brauche einen Namen, Jake.«
»Es ist hier nach Mitternacht.«
»Ich dachte, Lerner arbeitet nachts.«
»Okay.«
Ich hörte ein Gähnen.
»Und schau, was du sonst noch über diesen Priester herausfinden kannst. War er in den Diebstahl des Skeletts verwickelt? Wo lebte er dreiundsiebzig? Wo lebt er jetzt?«
»Boxershorts oder Slips?«
»So in der Richtung.«
»Wenn ich so spät noch anrufe, wird Lerner vielleicht eher misstrauisch.«
»Ich habe volles Vertrauen in deine Überredungskünste.«
»Und meinen jungenhaften Charme.«
»Und in den.«
Ich kam eben aus der Dusche, als das Telefon klingelte.
Ich wickelte mich in ein Badetuch, rutschte auf nassen Sohlen über die Fliesen, stürzte ins Schlafzimmer und griff nach dem Apparat.
»Sylvain Morissonneau.«
»Du bist ein Rockstar«, sagte ich und notierte mir den Namen auf der Rückseite eines Kontoauszugs.
»Jetzt verwechselst du mich mit Sting.«
»War Morissonneau in den Knochenklau verwickelt?«
»Nein.«
»Wo ist er jetzt?«
»Lerner kannte Morissonneau nicht so besonders gut. Er sagt, er sei nach Paris gegangen, kurz nachdem sich die beiden anderen an der Yeshiva kennen gelernt hatten. Seit einundsiebzig hat er von Morissonneau nichts mehr gehört oder gesehen.«
»Oh.«
»Aber eins habe ich noch erfahren.«
Ich wartete.
»Morissonneau ist ein Zisterzienser.«
»Ein Trappistenmönch?«
»Wenn du das sagst.«
Nachdem ich mir ein Tiefkühl-Abendessen aus Thai-Huhn und Reis aufgewärmt hatte, fuhr ich meinen Computer hoch und startete eine Web-Suche.
Charlie krächzte beharrlich »Get Off of My Cloud«. Birdie schnurrte rechts von mir auf dem Schreibtisch.
Im Verlauf meiner Suche erfuhr ich mehrere Dinge.
Im Jahr 1098 unserer Zeitrechnung entstand innerhalb des Benediktinerordens eine Erneuerungsbewegung, und zwar im Kloster von Cîteaux in Zentralfrankreich. Ihr Ziel war die weitest mögliche Wiedereinführung der buchstabengetreuen Beachtung der Regel des Heiligen Benedikt. Was das bedeutete, erfuhr ich allerdings nicht.
Das lateinische Wort für Cîteaux ist cistercium , und diejenigen, die sich dieser Reformbewegung anschlossen, wurden unter dem Namen Zisterzienser bekannt.
Heute gibt es mehrere Orden innerhalb der Zisterzienser, wovon einer der OCSO ist, der Orden der Zisterzienser von der strengeren Observanz. Die Trappisten, so der Spitzname der Mönche des OCSO, entstammen einer anderen Reformbewegung in einem anderen französischen Kloster, La Trappe, im siebzehnten Jahrhundert.
Eine
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