Totgeglaubte leben länger: 8. Fall mit Tempe Brennan
Pianisten willst du nicht hören, oder?«
»Nein.«
»Lerner arbeitete von einundsiebzig bis vierundsiebzig im Musée de l’Homme und recherchierte dort für seine Dissertation.«
»Thema?«
»Die Schriftrollen vom Toten Meer.«
»Wahrscheinlich haben die Essener nicht so lange gebraucht, um sie zu schreiben.«
»Lerner geht alles langsam an. Und ernsthaft. Und damals nahm er sein Judentum noch sehr ernst.«
»Madame Pianistin hat das geändert?«
»Wer hat was von einer Madame gesagt?«
»Komm jetzt zu den Masada-Knochen.«
»Zweiundsiebzig wurde Lerner gebeten, bei der Inventarisierung einer Reihe von Museumsexponaten zu helfen. Dabei stieß er auf eine Akte, die eine Transportrechnung und das Foto eines Skeletts enthielt.«
»Die Rechnung deutete darauf hin, dass die Knochen aus Masada kamen?«
»Ja.«
»War sie datiert?«
»November 1963.«
Locus 2001, die Höhle unter der Kasemattenwand auf dem südlichen Gipfel von Masada. Die durcheinander geworfenen Knochen. Das isolierte Skelett. Laut Jakes Freiwilligen-Informanten wurde Höhle 2001 im Oktober 63 entdeckt und ausgegraben, also einen Monat vor dem Datum der Museumsrechnung. In mir stieg die Spannung.
»War sie unterschrieben?«
»Ja, aber Lerner erinnert sich nicht mehr, von wem. Er durchsuchte die Sammlungen des Museums, fand das Skelett, vermerkte in der Akte den Zustand des Exponats und seinen Aufbewahrungsort, wie es Vorschrift war, und wandte sich etwas anderem zu. Aber etwas machte ihm Kopfzerbrechen. Warum war dieses einzelne Skelett ans Museum geschickt worden? Warum hatte man die Knochen in der Kiste gelassen und nicht ausgestellt? Schnurrst du?«
»Das ist der Kater.«
»Im Jahr darauf las Lerner das Buch eines australischen Journalisten, Donovan Joyce. Joyces Ausgangshypothese war, dass Jesus das Kreuz überlebt hatte.«
»Und sich anschließend in ein hübsches kleines Häuschen auf den Inseln zurückzog?«
»Dass er achtzig Jahre alt wurde und im Kampf gegen die Römer in Masada starb.«
»Ganz was Neues.«
»Das ist noch nicht alles. In seiner Zeit in Masada verfasste Jesus eine Schriftrolle mit seinem letzten Willen und Testament.«
»Und woher wusste Joyce von diesen kleinen Schätzen?«
»Im Dezember vierundsechzig war Joyce in Israel und recherchierte für ein Buch. Dort wurde er von einem Mann angesprochen, der sich Professor Max Grosset nannte, ein freiwilliger Ausgräber in Yigael Yadins Team. Grosset behauptete, er habe aus Masada eine antike Schriftrolle gestohlen, und bat Joyce nun, ihm dabei zu helfen, seine Beute außer Landes zu schmuggeln. Grosset schwor, die Schriftrolle hätte eine fantastische Bedeutung, und allein ihr Verfasser mache sie unbezahlbar. Joyce wollte sich in diese Geschichte nicht verwickeln lassen, aber er schwört, er habe Grossets Schriftrolle gesehen und in Händen gehalten.«
»Und später hat er ein Buch darüber geschrieben.«
»Joyce war ins Heilige Land gereist, um Masada zu besuchen, aber die Israelis lehnten seinen Antrag auf eine Besuchserlaubnis für diesen Gipfel ab. Da er nun gezwungen war, seine ursprüngliche Buchidee aufzugeben, orientierte er sich neu und fing an, die Plausibilität von Grossets Schriftrollen-Geschichte zu recherchieren. Erstaunt von dem, was er fand, widmete Joyce diesem Projekt letztendlich acht Jahre. Grosset sah er zwar nie wieder, aber Joyce behauptet, überraschende, neue Informationen über Jesu Vaterschaft, seinen Familienstand, seine Kreuzigung und Auferstehung entdeckt zu haben.«
»Aha.«
»In seinem Buch erwähnt Joyce die in Höhle 2001 gefundenen Skelette.«
»Im Ernst?«
»Laut Joyce stellen die fünfundzwanzig Individuen in der Höhle eine sehr spezielle Gruppe dar, die mit den jüdischen Zeloten nichts zu tun hatte. Er kommt zu dem Schluss, dass General Silva nach der Eroberung Masadas aus Respekt vor diesen Individuen den Befehl erteilte, die Höhlengräber unversehrt zu lassen.«
»Weil sie die Überreste von Jesus und seinen Anhängern enthielten.«
»Das ist die Implikation.«
»Lerner glaubte diese hirnrissige Theorie?«
»Das Buch ist inzwischen vergriffen, aber ich habe noch ein Exemplar auftreiben können. Ich muss zugeben, wenn man für so was offen ist, klingen Joyces Argumente ziemlich überzeugend.«
»Jesus Christus!«
»Genau. Zurück zu Lerner. Nachdem er Joyces Buch gelesen hatte, kam unser frommer, junger Gelehrter zu dem Schluss, es sei durchaus möglich, dass die Knochen, die er im Museum entdeckt hatte,
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