Totgeglaubte leben länger: 8. Fall mit Tempe Brennan
einziges Wort.
Im Auto wollte Ryan wissen, warum ich nach Lerner gefragt hatte.
»Keine Ahnung«, sagte ich.
»Guter Instinkt«, sagte er.
»Guter Instinkt«, wiederholte ich.
Wir waren beide der Meinung, dass wir uns eingehender mit Lerner beschäftigen sollten.
Während Ryan fuhr, hörte ich meine Handy-Nachrichten ab.
Drei.
Alle von Jake Drum.
Ich weiß jetzt, wie ich Yossi Lerner erreichen kann. Ruf mich an.
Ich habe mit Yossi Lerner gesprochen. Ruf mich an.
Erstaunliche Neuigkeiten. Ruf mich an.
Jedes »Ruf mich an« klang noch aufgeregter als das vorherige.
Ich erzählte es Ryan.
»Ruf den Mann an«, sagte er.
»Meinst du wirklich?«
»Ja. Ich will mehr über Lerner wissen.«
»Ich bin zwar neugierig auf das, was Jake herausgefunden hat, aber ich bin ja gleich zu Hause. Ich würde lieber warten und dann über Festnetz anrufen. Die Verbindung von Handy zu Handy ist schlimmer, als wenn man nach Sambia telefoniert.«
»Hast du schon mal nach Sambia telefoniert?«
»Ich komme nie durch.«
Zehn Minuten später setzte Ryan mich vor meiner Wohnung ab.
»Ich habe dieses Wochenende eine Beschattung und bin schon jetzt spät dran.« Er nahm mein Gesicht in beide Hände und strich mir mit den Daumen über die Wangen. »Bleib an dieser Lerner-Geschichte dran. Lass mich wissen, was Jake herausgefunden hat.«
»Pulsbeschleunigende Überwachung«, erinnerte ich.
»Ich weiß, was ich lieber überwachen würde«, sagte er.
»Ich weiß nicht, ob das das richtige Wort ist.«
Ryan küsste mich.
»Ich bin dir was schuldig«, sagte er.
»Das fordere ich schon ein«, sagte ich.
Ryan fuhr ins Wilfrid Derome zurück. Ich ging in meine Wohnung.
Nachdem ich Birdie und Charlie begrüßt hatte, zog ich Jeans an und machte mir eine Tasse Earl Grey. Dann setzte ich mich mit dem Telefon aufs Sofa und wählte Jakes Nummer.
Er antwortete schon nach dem ersten Tuten.
»Bist du immer noch in Frankreich?«, fragte ich.
»Ja.«
»Du kommst ja noch zu spät zu deiner eigenen Ausgrabung.«
»Ohne mich fangen sie nicht an. Ich bin der Chef.«
»Das habe ich ganz vergessen.«
»Was ich hier finde, ist viel wichtiger.«
Birdie hüpfte mir auf den Schoß. Ich strich ihm über den Kopf. Er streckte ein Bein aus und leckte sich die Pfote.
»Ich habe mit Yossi Lerner gesprochen.«
»Das habe ich deinen Nachrichten entnommen.«
»Lerner lebt immer noch in Paris. Er ist aus Quebec.«
Es musste der Yossi Lerner sein, an den Dora sich erinnerte.
»Als das Masada-Skelett noch im Museum war, arbeitete Lerner dort als Teilzeitkraft und recherchierte gleichzeitig für seine Doktorarbeit. Sitzt du gut?«
»Komm zur Sache, Jake.«
»Das haut dich nämlich um.«
Und das tat es auch.
10
»Lass mich kurz ein wenig ausholen. Dieser Lerner ist irgendwie ein schräger Vogel. Keine Familie. Lebt mit einem Frettchen. Schlägt sich als Archäologe so durch. Projekte in Israel, Ägypten, Jordanien. Besorgt sich eine Förderung, macht eine Ausgrabung, schreibt einen Bericht und zieht weiter. Macht auch viele Bergungsarbeiten«, sagte Jake.
»Retten, was man kann, bevor die Bulldozer für die neue Umgehungsstraße kommen.«
»Genau.«
»Ist Lerner bei irgendeiner Institution angestellt?«
»Er hatte einige Zeitverträge, aber er sagt, eine Dauerstellung habe ihn nie interessiert. Findet das zu beengend.«
»Ein regelmäßiges Einkommen kann schon eine Last sein.«
»Auf Geld hat’s der Kerl auf jeden Fall nicht abgesehen. Wohnt in einem Haus ohne Fahrstuhl aus dem siebzehnten Jahrhundert, das damals als Kaserne für Musketiere gebaut worden war. Die ganze Wohnung ist ungefähr so groß wie ein Buick. Hinauf kommt man über eine steinerne Wendeltreppe. Allerdings hat sie einen schönen Blick auf Notre Dame.«
»Du hast ihn also besucht?«
»Als ich ihn anrief, meinte er, er arbeite nachts, und lud mich ein. Wir haben dann zwei Stunden lang den Sonnenkönig gefeiert.«
»Das heißt?«
»Wie haben einer Flasche Martell VSOP Medaillon ernsthaften Schaden zugefügt.«
»Wie alt ist dieser Kerl?«
»Ende fünfzig vielleicht.«
Avram Ferris war sechsundfünfzig.
»Jüdisch?«
»Nicht mehr so eifrig wie in seiner Jugend.«
»Wie lautet seine Geschichte?«
»Lerners?«
»Nein, Jake. Die von Ludwig dem Vierzehnten.«
Ich lehnte mich zurück. Birdie schmiegte sich an meine Brust.
»Anfangs war Lerner ziemlich kühl, aber nach dem vierten Glas redete er wie ein Bekehrter aus der Betty-Ford-Klinik. Die Geschichte mit dem
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