Totgeglaubte leben länger: 8. Fall mit Tempe Brennan
ich nicht. Auch Joyces Buch erwähnte ich nicht, ebenso wenig wie das Motiv für den Diebstahl und das Verstecken der Knochen. Ich erwähnte auch nicht, dass ich Proben für einen DNS-Test eingeschickt hatte.
Und ich erwähnte nicht, dass Ferris und Morissonneau tot waren.
»Wie sind Sie zu diesem Foto gekommen?«, fragte Blotnik.
»Ein Mitglied der örtlichen jüdischen Gemeinde hat es mir gegeben.« Das stimmte ja auch einigermaßen.
»Ist wahrscheinlich alles Unsinn.« Das joviale Kichern klang jetzt gezwungen. »Aber ignorieren können wir die Sache auch nicht, oder?«
»Ich glaube nicht.«
»Und ich bin mir sicher, Sie wollen diese ganze Geschichte möglichst schnell vom Hals haben.«
»Ich bin ermächtigt, die Knochen freizugeben. Wenn Sie mir eine Lieferadresse nennen, kann ich FedEx …«
»Nein!«
Jetzt war kein Kichern mehr zu hören.
Ich wartete.
»Nein, nein. Ich kann Ihnen das nicht aufbürden. Ich werde jemanden schicken.«
»Von Israel nach Quebec?«
»Das ist kein Problem.«
Kein Problem?
»Dr. Blotnik, archäologisches Material wird die ganze Zeit international transportiert. Ich bin sehr gerne bereit, die Knochen zu verpacken und den Transportdienst zu beauftragen, den Sie bevorzu…«
»Ich muss darauf bestehen.«
Ich sagte nichts.
»In letzter Zeit hat es unerfreuliche Vorkommnisse gegeben. Sie haben vielleicht schon vom Jakobus-Ossuar gehört?«
Das Jakobus-Ossuar war der uralte Steinsarg, über den ich im Internet gelesen hatte. Ich erinnerte mich vage an eine Nachrichtenmeldung vor ein paar Jahren über die Beschädigung eines Ossuars, das an das Royal Ontario Museum ausgeliehen worden war.
»Das Jakobus-Ossuar war das Stück, das beim Transport nach Toronto kaputtging?«
»Zertrümmert wurde, sollte es wohl besser heißen. Auf dem Weg von Israel nach Kanada.«
»Es ist Ihre Entscheidung, Sir.«
»Bitte. Das wird das Beste sein. Ich werde mich in Kürze wieder mit dem Namen das Abholers bei Ihnen melden.«
Ich wollte etwas erwidern, doch Blotnik fiel mir ins Wort.
»Das Skelett befindet sich doch an einem sicheren Ort?«
»Natürlich.«
»Sicherheit ist äußerst wichtig. Bitte sorgen Sie dafür, dass niemand Zugang zu diesen Knochen hat.«
Als ich in mein Labor zurückkehrte, legte Ryan eben den Hörer auf.
»Kaplan redet nicht.«
»Und?«
»Der Typ von der Abteilung Kapitalverbrechen dort drüben meint, er will ihm mal ein bisschen Feuer unterm Hinter machen.«
Ryan bemerkte, dass ich abgelenkt war.
»Was ist denn los, Sonnenschein?«
»Ich weiß es nicht.«
Ryans Ausdruck veränderte sich fast unmerklich.
»Zu viel Mantel und Degen wegen dieses Skeletts«, sagte ich. »Auch wenn es wirklich das verschwundene Masada-Skelett sein sollte. Falls es dieses Skelett überhaupt gibt.«
Ich erzählte ihm von meinem Gespräch mit Blotnik.
»Eine Fünftausend-Meilen-Reise scheint mir schon ein bisschen übertrieben«, meinte Ryan.
»Ein bisschen. Jeden Tag werden historische Fundstücke über den ganzen Globus transportiert. Es gibt Firmen, die sind genau auf so was spezialisiert.«
»Wie wär’s damit?« Ryan legte mir die Hände auf die Schultern. »Wir genehmigen uns ein hübsches Abendessen, gehen dann zu dir und schlüpfen vielleicht in etwas, das der Kunst des Tanzes entlehnt wurde.«
»Ich habe die Tap Pants noch nicht bestellt.«
Mein Blick wanderte zum Fenster. Ich war beunruhigt und nervös, und ich wusste nicht, warum.
Ryan streichelte mir die Wange. »Über Nacht wird sich kaum was ändern, Tempe.«
Da irrte sich Ryan, und zwar sehr.
17
In dieser Nacht träumte ich von dem Mann namens Tovya Blotnik. Er trug eine dunkle Sonnenbrille und einen schwarzen Hut, wie Belushi und Aykroyd in ihren Blues-Brothers-Filmen. Blotnik kauerte auf der Erde und grub mit einer Kelle. Es war dunkel, und wenn er den Kopf bewegte, funkelte Mondlicht auf seinen Gläsern.
In meinem Traum holte Blotnik etwas aus dem Boden, stand auf und gab das Objekt einer zweiten Gestalt, die mir den Rücken zugewandt hatte. Diese zweite Gestalt drehte sich um. Es war Sylvain Morissonneau. Er hielt eine kleine, schwarze Leinwand in der Hand.
Licht troff von Morissonneaus Fingerspitzen, als er Erde von der Leinwand kratzte. Langsam tauchte ein Gemälde auf. Vier Gestalten in einer Grabhöhle: zwei Engel, eine Frau und der auferstandene Jesus.
Jesu Gesicht löste sich auf, es blieb nur ein Schädel übrig, glänzend weiße Knochen. Ein neues Gesicht bildete sich auf Stirn und Wangen
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