Totgeglaubte leben länger: 8. Fall mit Tempe Brennan
Friedman.«
Friedman streckte die Hand aus. Ryan schüttelte sie.
»Willkommen in Israel.«
Ryan stellte mich vor. Ich gab Friedman ebenfalls die Hand. Der Griff war kräftiger, als man bei einem Kerl von Gilligans Statur erwarten würde.
Friedman führte uns nach draußen und zu einem weißen Ford Escort, der illegal in einer Taxi-Zone parkte. Ryan lud das Gepäck ein, öffnete die Beifahrertür und bot mir den Vordersitz an.
Ryan ist einsfünfundachtzig groß. Ich eins dreiundsechzig. Ich entschied mich für den Fond.
Ich schob Unterlagen, irgendeine Gebrauchsanleitung, zusammengeknüllte Einwickelpapiere, Stiefel, einen Motorradhelm, eine Baseball-Kappe und eine Nylonjacke beiseite. Zwischen den Sitzen steckten Pommes. Ich ließ sie dort.
»Entschuldigung wegen dem Auto«, sagte Friedman.
»Kein Problem.« Ich wischte noch ein paar Brösel vom Polster, stieg ein und fragte mich, ob es ein Fehler gewesen war, Jakes Angebot, mich vom Flughafen abzuholen, abzulehnen.
Unterwegs brachte Friedman Ryan auf den neuesten Stand.
»Jemand ziemlich weit oben in Ihrer Nahrungskette hat jemanden aus dem Außenamt angerufen, der dann wieder einen unserer ranghohen Polizeirepräsentanten für die USA und Kanada angerufen hat.«
»Die persönliche Note kann manchmal so viel bewirken.«
Friedman warf Ryan einen schnellen Seitenblick zu, er kannte eben Ryans Humor noch nicht. »Unser Mann in New York schickte Unterlagen an die Abteilung für Internationale Beziehungen in unserer Zentrale in Jerusalem. Die Abteilung gab die Anfrage an das Dezernat für Schwerverbrechen weiter. Und ich bekam sie ab.«
Friedman bog auf den Highway 1 ein.
»Normalerweise verläuft so eine Anfrage im Sande. Wir haben ja meistens nichts, was wir den Verdächtigen fragen könnten, kein Detailwissen über das Verbrechen. Und ist ein Tourist erst einmal im Land, ist er so gut wie unsichtbar. Und auch falls wir ihn aufspüren, hat er das Recht, ein Gespräch mit uns zu verweigern.«
»Aber Kaplan war so freundlich, eine Halskette zu klauen«, sagte Ryan.
»Einen herodischen Schekel an einer Goldkette.« Friedman schnaubte. »So ein Trottel. Das Ding war nicht mal echt.«
»Wie lange können Sie ihn festhalten?«
»Vierundzwanzig Stunden, und die sind rum. Mit ein paar fantasievollen Argumenten kann ich es auf achtundvierzig Stunden ausdehnen. Und dann heißt es, Anklage erheben oder ihn laufen lassen.«
»Wird der Ladenbesitzer Anzeige erstatten?«
Friedman zuckte die Achseln. »Wer weiß? Der Kerl hat seine Münze ja zurückbekommen. Aber wenn Kaplan freikommt, halte ich ihn an einer sehr kurzen Leine.«
Hin und wieder schaute Friedman kurz in den Rückspiegel. Unsere Blicke kreuzten sich. Und dann lächelten wir beide.
Zwischen diesen Kollegialitätsbezeugungen versuchte ich, die Landschaft zu betrachten. Aus Winstons Buch wusste ich, dass die Route von Tel Aviv nach Jerusalem von der Küstenebene durch die Shephelah, das Tiefland, dann durch das judäische Hügelland und hoch in den Berge führt.
Die Nacht war bereits hereingebrochen. Ich konnte nicht mehr viel sehen.
Nach unzähligen Kurven funkelte plötzlich Jerusalem vor uns. Ein Vanillewaffel-Mond streifte die Spitze des Tempelbergs und tauchte die Altstadt in einen bernsteinfarbenen Schein.
Ich habe nur wenige Anblicke erlebt, die bei mir eine körperliche Reaktion auslösten. Der Vulkan Haleakala bei Sonnenaufgang. Das Tadsch Mahal bei Sonnenuntergang. Die Masai Mara während der Wanderung der Weißschwanzgnus.
Jerusalem im Mondlicht raubte mir den Atem. Friedman merkte es, und wieder trafen sich unsere Blicke.
»Beeindruckend, nicht?«
Ich nickte in der Dunkelheit.
»Ich lebe seit fünfzehn Jahren hier. Bei dem Anblick bekomm ich immer noch Gänsehaut.«
Ich hörte nicht mehr zu. In meinem Kopf tummelten sich Bilder. Selbstmordattentäter. Weihnachtsumzüge. Siedlungen im Westjordanland. Katechismusstunden in meiner alten Pfarreikirche. Nachrichten-Clips von zornigen jungen Männern.
Israel ist ein Ort, wo die Wunder der Vergangenheit täglich mit der bitteren Realität der Gegenwart kollidieren. Während wir durch die Nacht fuhren, konnte ich den Blick nicht abwenden von der uralten Stadt, die für immer und ewig im Zentrum des Ganzen stehen wird.
Eine Viertelstunde nach dem ersten Blick auf Jerusalem waren wir mitten in der Stadt. Autos säumten die Bordsteine, Stoßstange schnupperte an Stoßstange wie Hunde in einer Polonäse. Fahrzeuge verstopften die Straßen.
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