Totgekuesste leben laenger
die Ecke kam. Es gab zwar nichts mehr zu sehen, aber die Aufregung und das Gelächter lagen noch in der Luft. Nachdem die Jungs mit lauten Kommentaren verschwunden waren, atmete ich aus, ohne überhaupt bemerkt zu haben, dass ich eingeatmet hatte.
»Nakita?«, sagte ich und klappte meine Spindtür wieder auf. »Wir müssen unbedingt an deinen Umgangsformen arbeiten.«
»Er hat mich angefasst«, entgegnete sie mit gerunzelter Stirn. »Er hat Glück, dass er noch am Leben ist.«
Ich zog die Augenbrauen hoch und fragte mich, ob die Idee der Seraphim, dass Nakita mir beibringen sollte, mein Amulett zu benutzen, und ich ihr, mit dem Geschenk ihrer Angst zu leben, wirklich so gut gewesen war. »Ja, klar, aber wenn du hier an der Schule bleiben willst, musst du ein bisschen subtiler vorgehen.«
»Subtil«, wiederholte sie und ihr Gesicht erhellte sich. »Zum Beispiel ihm ein Messer in die Rippen stechen?«
Barnabas beugte sich vor. »Mach besser einen Finger draus, dann dürfte es funktionieren.«
Über mir, ganz am Rande meines Bewusstseins, erklang eine glockenhelle Stimme. »Es war mal ein Engel auf Erden —«
Schnell blickte ich auf und lächelte, als ich die Lichtkugel sah. »Grace!«, rief ich und hoffte, dass niemand dachte, ich würde mit der Decke reden. Als mich zum ersten Mal ein Seraph zu kontaktieren versucht hatte, war ich vor Schmerzen in Ohnmacht gefallen. Jetzt erreichte mich alles per Botenengel, aber das war das erste Mal, dass ich Grace wiedersah.
Der Engel schwebte zu meiner Spindtür und ließ sich darauf nieder. »Hi, Madison. Ich hab 'ne Nachricht für Nakita.« Dann verstärkte sich ihr Glühen, als sie fragte: »Was macht Barnabas denn hier? Du bist die schwarze Zeitwächterin und er ist -«
»Nicht mehr bei Ron«, beendete Barnabas ihren Satz mit angespanntem Gesicht und verschränkte die Arme vor der Brust.
Ihr Licht wurde noch heller, bis ich fast glaubte, jetzt müsste es jeder sehen können. »Du bist einer von den Schwarzen geworden!«, rief sie.
Ich zuckte zusammen vor Schmerz, den die Kraft ihrer Stimme in meinem Kopf auslöste.
Barnabas fuhr sich mit der Hand durch die Locken und Nakita kicherte. »Ich weiß nicht, was ich bin. Doch da, wo ich war, konnte ich nicht bleiben. Ich traue Ron nicht, aber ich glaube auch immer noch nicht ans Schicksal.«
Nakita warf ihr Haar zurück und stemmte die Hände in die Hüften. »Du wagst es, den Seraphim zu trotzen?«, knurrte sie.
»Ich wage es, meine Augen zum Sehen und meinen Kopf zum Denken zu benutzen«, entgegnete Barnabas angriffslustig.
Grace summte genervt vor sich hin.
Ich ging dazwischen. »Okay, schon gut«, versuchte ich zu schlichten. »Ich glaube auch nicht an das Schicksal, aber ich habe Respekt vor Nakita.« Und vor diesem Riesenschwert, das sie hervorzaubern kann, wie sie mir erst letzte Woche gezeigt hat. »Solange ich in der Schule bin, bin ich in Sicherheit vor dem, über das ihr euch Sorgen macht - was immer es auch ist. Warum wartet ihr nicht beide draußen?«
Sofort gaben sie klein bei. »Ich muss hierbleiben«, entgegnete Nakita mit gesenktem Blick. »Um meiner selbst willen. Ich muss es verstehen. Die Seraphim wissen nicht genau, wie dein Tod deine Fähigkeit beeinflusst, die Zeit zu lesen. Und unter meinesgleichen fühle ich mich nicht mehr wohl. Sie halten mich für schwach«, schloss sie.
Ich erschrak, als ich die Scham und die Bitterkeit in ihrer Stimme hörte.
Barnabas ließ den Blick über die aufgeregten Schüler schweifen. Er wirkte abwesend. »Ich brauche was zu tun. Ich bin auch … einsam. Und an dich bin ich gewöhnt.«
Wie nett, er ist an mich gewöhnt. Wie an ein altes Paar Socken.
»Ihr beide beschützt Madison?«, fragte Grace. »Na, irgendwer muss es ja machen. Und mich lässt sie nicht.«
Sofort bekam ich wieder ein schlechtes Gewissen, aber sie landete auf meiner Schulter und flüsterte: »Danke für meinen Namen, Madison. Ich dachte erst, die würden ihn mir wieder wegnehmen, aber schließlich haben sie entschieden, dass ich ihn behalten kann, wenn ich dir als permanente Botin zugeteilt werde.«
»Grace, das ist ja super!«, entgegnete ich aufrichtig erfreut. Es war schön, Grace wiederzusehen. Obwohl … Als Nakita das letzte Mal eine Botschaft erhalten hatte, war sie für eine Weile verschwunden und dann mit einem zufriedenen Lächeln und einer neuen Kerbe in ihrem Schwert wieder aufgetaucht.
Der winzige Engel flog hoch in die Luft und ich spürte jemand Vertrauten hinter mir.
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