Totgelebt (German Edition)
gefielt ihr. Sie bemerkte, dass sie grinsend am Schreibtisch saß. Es war ihr peinlich. Sofort straffte sie ihre Gesichtszüge und sah ihren Kollegen an. „Also, bis wir den Bericht des Gerichtsmediziners und der Spurensicherung haben, dauert es noch einige Zeit.“ Paula schaute auf die Uhr. „Lass uns zur Familie des Mädchens fahren, egal wann wir heute hinfahren, besonders erwünscht sind wir bestimmt nicht, also lass es uns hinter uns bringen.“
Eine halbe Stunde später klingelte Paula Franz an der Türe der Familie Jansen. Die Familie wohnte in einer einfachen Wohngegend, nichts Besonderes. Aber auch kein sozialer Brennpunkt. Kurz darauf surrte der Türöffner und Paula und Max stiegen die Treppen zur Wohnungstür hinauf. An der Tür empfing sie ein etwa 18jähriger Junge. Er scheint nicht besonders um seine Schwester zu trauern, dachte Paula. Er vermittelte den beiden Kommissaren gar keine Emotionen. Er wirkte teilnahmslos, ihm schien einfach alles egal zu sein.
Max stellte sich und seine Kollegin vor und der Junge ließ die beiden ein. Etwas unschlüssig warteten sie im Flur, nahmen aber zugleich aus dem hinteren Teil der Wohnung Geräusche wahr. Paula horchte, klingt als ob jemand weint. Hier trauerte also doch jemand um Lotte. Kurz darauf erschien eine Frau im Türrahmen, Lottes Mutter. Paula nahm einen leichten Alkoholgeruch, vermischt mit Mundwasser, bei der Frau wahr. Ihr Gesicht verriet ebenfalls jahrelangen Alkoholmissbrauch. Ihre Augen waren blutunterlaufen, ob ausgelöst durch zu viel Alkohol oder die Trauer um das Kind, konnte Paula nicht beantworten. Vermutlich eine Kombination aus beidem. Sie bat die beiden ins Wohnzimmer. Der Junge, Lottes Bruder, war verschwunden.
Max stellte sich und Paula noch einmal vor und beide nahmen auf dem Sofa im Wohnzimmer Platz. Nach einigen Minuten des Schweigens, die sie Lottes Mutter gaben, um sich für das anstehende Gespräch zu sammeln, fragte Paula nach den möglichen Gründen für einen Selbstmord der Tochter.
Die Mutter wirkte ratlos. Nie im Leben habe sie daran gedacht, dass sich ihre Tochter das Leben nehmen würde. Sie wirkte zwar manchmal deprimiert, war unglücklich in der Schule, hatte kaum Freunde, aber deshalb nimmt man sich doch nicht direkt das Leben. Einen Vater gab es nicht mehr bei der Familie Jansen. Dieser hatte seine Frau und seine Kinder vor gut fünfzehn Jahren verlassen und sich nie wieder um die ehemalige Familie gekümmert. Er zahlte monatlich den Unterhalt, ein persönlicher Kontakt hatte aber nie wieder stattgefunden. Seitdem versuchte die Mutter, die Familie zusammenzuhalten . Sie hatte Lotte das Studium finanziert, und auch ihr Sohn sollte bald studieren. Die Kinder sollten es einmal besser haben als sie, betonte sie.
Paula sah sich im Zimmer um und entdeckte an der Wand einige Fotos von Lotte. Auf dem Foto lächelte sie in die Kamera. Die Mutter hatte keine Ahnung, wie Lotte an eine Waffe geraten konnte, in ihrem Hause gab es keine Waffen. Zuletzt gesehen hatte sie ihre Tochter am Vorabend . Lotte war noch einmal hinaus gegangen, das Mädchen war 21 Jahre alt, „ich kann sie doch nicht hier festhalten, sie ist erwachsen, sie kann hingehen, wohin sie möchte“, versuchte die Mutter sich vor sich selbst zu rechtfertigen. Wohin Lotte an dem vergangenen Abend gegangen war, konnte die Mutter nicht sagen. „Ich kann ein erwachsenes Mädchen doch nicht kontrollieren, überwachen und zu Hause einsperren.“, sagte sie nun eher zu sich selbst. Nach Freunden oder guten Bekannten ihrer Tochter gefragt, wirkte die Mutter eher ratlos. Ihr fiel kein konkreter Name ein, Besuch hatte das Mädchen eigen tlich nie. Hin und wieder ging sie aus. Es hatte da wohl in letzter Zeit einen Mann gegeben, für den sich Lotte interessiert hatte. Das war eines der wenigen Dinge, die Lotte gegenüber ihrer Mutter erwähnt hatte. Ein paar mal hatte sie über diesen Mann gesprochen. Doch die Mutter wusste weder Namen noch Wohnort dieser Person. Sie hat ihn nur nebenbei erwähnt, sie konnte sich gut mit ihm unterhalten, hat sie gesagt.
“Ich bin mir nicht einmal sicher, ob es ihr fester Freund war.“ Die Mutter schluckte erneut, versuchte, die Trauer in den Griff zu bekommen. Erkannte selbst, dass sie über ihre eigene Tochter, mit der sie unter einem Dach wohnte, so gut wie nichts wusste, so gut wie nie mit ihr sprach. Erneut liefen ihr Tränen über das Gesicht. „Vielleicht hätte ich all das verhindern können.“
Paula versuchte die Mutter
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