Totgelebt (German Edition)
vollkommen zu ignorieren.
„Dein Privatleben interessiert hier keinen Menschen“, raunzte er sie jetzt an. „ Außerdem ist das doch ein offenes Geheimnis. Mein Gott, Paula, was meinst du eigentlich, wie viele Gerüchte im Präsidium über dich kursieren? Dass du eine Lesbe bist, ist noch die harmlose Variante. Wenn du es einmal öffentlich machen würdest, wäre den ganzen Spekulationen endlich ein Ende gesetzt und eine Woche später würde kein Mensch mehr darüber sprechen. Du bist nicht die einzige Frau, die mit einer anderen Frau zusammenlebt, du bist kein Unikum und so besonders bist du auch nicht. Du nimmst dich und dein Privatleben viel zu wichtig.“ Das hatte gesessen. Sie schwieg und demonstrierte Max deutlich, dass für sie das Thema jetzt beendet war. Sie zog es deshalb vor, gar nichts mehr zu sagen.
„Nicht jeder möchte sein Privatleben so extrovertiert ausleben und diskutieren, wie du es tust“, schob sie nach einiger Zeit des eisigen Schweigens hinterher. „Vielleicht denkst du, dass es jeden interessiert, wenn du mal wieder eine neue Frau vögelst, die dritte oder vierte in einem Monat. Nicht jeden interessiert es, wenn du eine Frau flachlegst. Dass du nicht bindungsfähig bist, weiß sowieso schon jeder im Haus. Trotzdem gehst du damit hausieren, ich möchte einfach, dass mein Privatleben auch privat bleibt. Das ist alles, also bitte respektiere das. Punkt.“ Das Essen war gelaufen, die Stimmung schlecht. Sofort regte sich in Paula ein schlechtes Gewissen. Eigentlich wäre es ganz schön gewesen, mit Max über die Probleme, die sie zurzeit mit Anne hatte, zu sprechen. Aber jetzt hatte sie gar keine Lust mehr auch nur irgendein Wort über Anne zu verlieren. Ihr Handy klingelte. Als hätte Anne es geahnt. Leise sprach sie ins Telefon, fragte nach ihrem Tag, erzählte mit wenigen Worten von dem Selbstmord des Mädchens. Nach einigen Minuten beendete sie das Gespräch und Max strahlte sie an. „Wieder alles in Ordnung?“, fragte er sie und zwinkerte ihr zu. „Komm schon du Blödmann, gehen wir zurück ins Büro und schreiben diesen elendigen Bericht, damit wir schnell das Wochenende genießen können.“ Das mochte sie an Max, schlechte Laune war bei ihm nur von kurzer Dauer und er war ganz und gar nicht nachtragend. Außerdem besaß er die unglaubliche Eigenschaft, seine gute Laune auf sie zu übertragen. Das gelang nicht vielen Menschen.
Zurück im Büro, lag ein Zettel von Johanna auf Paulas Schreibtisch. Die Spurensicherung hatte angerufen und bat dringend um Rückruf. Sie runzelte die Stirn und hängte sich ans Telefon. Max schaute ihr dabei zu und versuchte aus ihrem Gesicht zu lesen, konnte aber nichts daraus entnehmen. Also wartete er geduldig, bis das Gespräch beendet war. Paula legte den Hörer auf, und verharrte einige Sekunden, dann sagte sie zu Max „Ganz so einfach, wie es aussah, scheint es nun doch nicht zu werden. Lotte Jansen war bei ihrem Selbstmord nicht allein. Am Tatort sind eindeutig Fußspuren einer zweiten Person gefunden worden, frische Fußspuren, die ganz offensichtlich in Verbindung zu Lotte Jansen s Spuren stehen. Irgendjemand muss bei ihr gewesen sein. Schuhgröße 46, das lässt auf einen Mann schließen. Er hat ihr zugeschaut, ihr Instruktionen gegeben, sie beruhigt, sie angestachelt. Was weiß ich. Zumindest stand die Person Lotte Jansen zugewandt gegenüber und zwar sehr nah, ungefähr einen Meter entfernt. Diese Person muss alles genau gesehen haben und diese Person hat den Selbstmord nicht verhindert. Was machen wir jetzt?“
„Scheiße“, sagte Max. „Also noch mal von vorne und dieses Mal richtig.“
„Genau. Noch mal zu der Mutter und dem merkwürdigen Bruder.“
„Und die Karte mit dem Zitat aus der Bibel, das sollten wir auch noch mal hinterfragen. Da war doch auch ein Drucker beim PC in Lottes Zimmer. Wir sollten das Schriftbild der Karte mit dem Drucker vergleichen.“
„Außerdem sollten wir versuchen Kommilitonen von Lotte ausfindig zu machen, sie muss doch mit anderen Personen an der Uni Kontakt gehabt haben, oder alte Schulfreunde. Irgendjemand. In dem Alter ist doch niemand ohne Freunde. Die Mutter hat doch auch einen Mann erwähnt, mit dem sich Lotte in letzter Zeit angefreundet hatte . Da rüber müssen wir mehr erfahren.“
„Und wir müssen herausbekommen, woher das Mädchen die Waffe hat te . Waffen bekommen junge Studentinnen auch nicht an jeder Ecke, sie muss also Kontakte gehabt haben, wir müssen herausfinden, wer
Weitere Kostenlose Bücher