Totgelebt (German Edition)
funktioniert, wer an diesen Chats teilnimmt, um was es geht und so weiter. Wir müssen zunächst ein mal wissen, wie das funktioniert.“
Kurek nickte und entnahm ein weiteres Papier aus seinem Ordner. „Ich habe euch die Basics hier aufgelistet.“ Er schob Paula das Papier hin. „Das Internet bietet allen Verzweifelten eine echte Plattform und ist somit auch für die Lebensmüden ein Marktplatz der Möglichkeiten. Das Problem in diesen Foren, die nicht professionell moderiert werden, ist, dass sich die Jugendlichen teilweise gegenseitig zum Selbstmord motivieren, dann besteht Rechtfertigungsdruck, wenn ein angekündigter Selbstmord nicht ausgeführt wurde, Rechtfertigungsdruck, wenn eine angekündigte Tat nicht ausgeführt wird, Gefährdete werden durch Entschlossene mitgezogen. Außerdem besteht die Möglichkeit, sich durch diese Foren, gerade für instabile Menschen, der realen Welt komplett zu entziehen, sie existieren nur noch in dieser virtuellen Welt. Die Gefahr liegt ganz klar in selbstmordgefährdeten Jugendlichen, die Gefährdung steigt bei Nutzung dieser Chats und Foren erheblich.“
Max sah Paula an. „Das passt alles. Lotte und Leon waren gefährdet, hätten aber nicht um jeden Preis den Suizid durchgezogen, sie hätten vermutlich professionelle Hilfe gebraucht.“
Paula nickte. „Gibt es Daten zur Nutzung dieser Plattformen, wie alt sind die Nutzer, wie viele Leute chatten dort regelmäßig und gibt es Zahlen darüber, wie viele Leute sich tatsächlich töten, nachdem sie diese Seiten besucht haben?“
Kurek zog weitere Blätter aus seinem Ordner. „Es gibt keine absolut gesicherten Daten. Das Netz ist einfach zu anonym. Es wird Jahre dauern, bis wir das alles genau und exakt überwachen können. Von wie vielen Menschen welcher Altersstufen Suizidforen besucht oder genutzt werden ist nicht bekannt. Es gibt einfach keine Möglichkeit, diese Daten gesichert zu erheben. Es gibt einige Presseartikel, die Schätzungen vornehmen, somit weist das bekannteste Freitodforum bisher rund 50.000 Klicks sowie rund 700 registrierte User auf. Ein anderes Selbstmord-Forum verzeichnet rund 10.000 Klicks auf der Homepage sowie rund 2.000 Nutzer des Chatrooms innerhalb eines Jahres. Von einem anderen überwachten Chatroom wissen wir, dass dort derzeit rund 60 registrierte User existieren. Wir können ja einfach mal einen der Räume betreten und uns die Sache selbst anschauen.“, schlug Kurek vor. „Dann wird das ganze ein bisschen anschaulicher. Darf ich mal?“, er zog Paulas Tastatur ein Stück näher zu sich.
Paula machte ihm Platz und rutschte ein Stück zur Seite, so dass nun alle drei gut auf Paulas Bildschirm schauen konnten. Kurek gab eine Website-URL in den Browser ein. Sekunden später öffnet sich eine schwarz-gehaltene Website. „Das ist eine private Homepage, die sich nur mit dem Thema Selbstmord beschäftig“, fuhr Kurek fort, „hier seht ihr Abschiedsbriefe von Menschen, die sich das Leben genommen haben, hier ist der Verweis zum Tagebuch eines Selbstmörders und hier geht es zum Chat. Er klickte auf den Link. Das ist alles nicht strafbar, gesetzlich können wir dagegen nichts unternehmen. Es verstößt erst in dem Moment gegen das Gesetz, wenn Tipps zum Selbstmord gegeben werden oder wenn Hilfe unterlassen wird. Dann haben wir die Möglichkeit einzugreifen. Aber dazu müssen wir auch immer punktgenau an Ort und Stelle sein.“ Es öffnete sich ein Fenster: „ Hier kann man allgemein zum Thema Selbstmord diskutieren. Labile Menschen sollten die Seite nicht betreten oder jetzt verlassen. Hilfe findet man bei der Telefonseelsorge bundesweit, 24h/Tag, anonym, vertraulich, gebührenfrei. Im Chat bitte keine persönlichen Selbstmordabsicht-Ankündigungen, Aufrufe zum Selbstmord etc. Haftungsausschluss: Insbesondere für Schäden, die aus der Nutzung oder Nichtnutzung der im Chat dargebotenen Informationen entstehen, wird keine Haftung übernommen. Das Betreten des Chat erfolgt auf eigene Gefahr. Der Betreiber hat keinen Einfluss auf die Einträge im Chat .“
Kurek gab einen fiktiven Nutzernamen ein und trat in den Chat ein. „Damit sichern sie sich ab, somit haben wir gegen die Portalbetreiber nichts in der Hand. So “ , er deutete mit der Maus auf die Einträge, „hie r könnt ihr gut sehen, wie viele Einträge hier liegen, im Archiv sind im Moment rund achtzig Einträge online, also aktiv im Chatroom sind gerade vier User, das seht ihr hier rechts.“ Sie verfolgten einige Minuten die
Weitere Kostenlose Bücher