totgepflegt: Maggie Abendroth und der kurze Weg ins Grab (German Edition)
Probeweise saugte ich die Überreste meiner Hamsterbacken zwischen die Zähne.
»Was wird das denn jetzt, Maggie? Elisabeth Flickenschildt? Wenn du wirklich was machen willst, würd’ ich mir die beginnenden Hängebäckchen ein bisschen straffen lassen. So ungefähr.«
Dabei zog Wilma an meinem Unterkiefer.
»Toll, am heiligen Samstag komme ich hier rein, um mich von dir beleidigen zu lassen. Deine Zunge bräuchte mal Botox!«
Ich nippte an meinem Kaffee, und Wilma rupfte in meinen Locken herum. Sie knallte mir die Farbpalette auf den Schoß.
»Was darf es denn sein? Rote Kastanie, Black Magic Raspberry oder Cyclam Night?«
»Wie wäre es mit Slim Fast Erdbeere?«
»Okay. Entschuldigung wegen der Hängebäckchen. Du hast eben viel von deiner Oma«, lenkte sie ein, »aber wenn man nicht rechtzeitig was macht, sieht man mit Fünfzig aus wie ein Pelikan.«
»Danke. Danke. Ich habe die O-Beine von meiner Oma, die dicken Knie und die krummen, kleinen Finger.«
Wilma fing an zu kichern. »Nicht zu vergessen, den scharfen Verstand, mein Herz.«
»Ja, genau. Meine Oma hat meinen Opa dauernd beim Schach geschlagen, obwohl sie nebenbei noch das Mittagessen gekocht hat.«
»Du erwähntest es bereits.«
»Man kann es gar nicht oft genug sagen.«
»Weißt du was, Maggie, ich mache Kastanie mit schwarzen Strähnen. Zur Auflockerung.«
»Wie du willst«, maulte ich.
Der Pelikan hatte gesessen.
»Für meine Verhältnisse kann es grad’ nicht brav genug sein.«
»Jetzt erzähl doch mal endlich. Klingt ja so, als hättest du einen Job beim katholischen Kirchenfernsehen.«
»Könnte fast stimmen. Aber …«, ich machte ihr mit der Hand ein Zeichen, sie möge näher herankommen. Mit dem Farbapplikator in der Hand beugte sie sich zu mir herunter: »… es ist viel schlimmer.«
»Ach, was kann denn noch schlimmer sein? Drehbücher für Gute Zeiten, schlechte Zeiten?«
»Bleib doch mal ernst. Es ist wirklich ein bisschen peinlich für mich.«
Jetzt war sie ganz Ohr. Für Wilma gibt es nichts Besseres als peinliche Dinge, brühwarm serviert. Ihre blauen Augen strahlten mit ihren Goldringen geradezu um die Wette.
»Komm, wir setzen uns in die Teeküche. Ich kann dir da auch die Haare färben. Muss ja keiner mitkriegen.«
Ich packte meine Zigaretten und meine Handtasche, Wilma nahm das Wägelchen mit ihren Utensilien, und so schoben wir beide, ich mit halb eingeklatschten Haaren und Wilma mit einem Lächeln im Gesicht, ab in Richtung Teeküche. Mehrere Augenpaare folgten uns. Um dem Ganzen noch die Krone aufzusetzen, gab Wilma die Parole aus: »In den nächsten 15 Minuten gibt es keinen Kaffee.« Sie konnte hier ja machen, was sie wollte. Ihr gehörte der Laden schließlich.
Kaum hatte ich mich auf einen Hocker gesetzt, pinselte sie, in erwartungsvolles Schweigen gehüllt, sofort weiter auf meinem Kopf herum.
»Also gut, ich arbeite bei einem Bestatter.«
Das Schweigen hielt an. Wilma pinselte langsamer.
«He, hallo. Realitäts-Check, Wilma. Ich sagte Bestatter . Ich arbeite natürlich nur …«
»Bestatter! Maggie, ich krieg’ Herpes.«
»Schrei doch nicht so … Hey, ich kann’s mir nicht mehr aussuchen. Erinnere dich bitte, Wilma – ich bin bankrott. Pleite. Ich habe Schulden. Soll ich zum Sozialamt gehen? Wäre das besser?«
Wilma schnappte nach Luft. »Es gibt doch tausend andere Jobs. Vielleicht …«
»Na? Na? Was denn vielleicht? Spielhallenaufsicht, Putzkolonne im Krankenhaus? He?«
»Brötchen verkaufen am Bahnhof oder so. In einer Woche fängt der Weihnachtsmarkt an, irgendwas. Mensch, Margret, Bestatter! Wenn du doch nur was gesagt hättest. Du hättest auch hier bei mir …«
»Ich bei dir im Salon? Was denn? Haare fegen? Ich bitte dich!«
»Sag mal, heißt das etwa, du hast die ganzen letzten Monate nichts mehr geschrieben?«
»So ist es!«
»Und da sagst du mir kein Wort?«
»Warum sollte ich? Um mir deine dämlichen Jobvorschläge anzuhören? Oder hast du einen neuen Super-Therapeuten für mich aufgetan?«
Ich drehte mich gerade rechtzeitig zu ihr herum, um zu sehen, wie sich ihre Augen zu gefährlichen Schlitzen verengten. Der Farbapplikator schwebte drohend über meinem Kopf.
Entgegen allen bewährten Deeskalationstheorien stichelte ich weiter: »Was ist? Gibst du grad’ den Löffel ab? Muss ich meinen Chef anrufen? Sag mir noch schnell, ob du lieber Eiche oder Buche willst.«
»Margret Abendroth! Ich bin deine beste Freundin. Ich habe wohl was anderes verdient als deinen
Weitere Kostenlose Bücher