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totgepflegt: Maggie Abendroth und der kurze Weg ins Grab (German Edition)

totgepflegt: Maggie Abendroth und der kurze Weg ins Grab (German Edition)

Titel: totgepflegt: Maggie Abendroth und der kurze Weg ins Grab (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minck
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versorgte.
    Schwester Beate, der langsam aber sicher der Kundenstamm wegstarb, rief mich mindestens einmal am Tag an. Am achten Tag der Grippewelle hatten wir abends um 19.00 Uhr nur noch drei Tote zu versorgen.
    Matti stand bleich am schlichten Verbrennungssarg Marke Standard und starrte die Leiche an: Herrn Manowski, 85 Jahre alt, Grippeopfer.
    »Matti, ist was?«, fragte ich.
    Matti schwieg und ließ die Schultern hängen.
    »Soll ich Ihnen die Kreislauftropfen geben?«
    »Nein. Aber … nein.«
    Ich trat an den Sarg heran. Auf einer Fingerkuppe balancierte ich eine Augenkappe aus fleischfarbenem Plastik, die wir bei jemandem einzusetzen vergessen hatten, der bereits nebenan im Aufbahrungsraum lag. Die Angehörigen konnten jeden Moment da sein. Wenn dann die Augen eingefallen aussahen, machte das keinen guten Eindruck.
    »Ich bin sofort zurück.«
    Ich eilte zum Aufbahrungsraum 2. Eben kam Sommer mit den Angehörigen die Treppe herunter. Zupf, das Augenlid hoch, die fleischfarbene Kappe drunter geschoben. Zupf, das Unterlid ein bisschen nachjustiert, und fertig. Eben hatte ich dem Verstorbenen noch das Lächeln korrigiert, da ging auch schon die Tür auf. Während die kleine Gruppe in den Raum strömte, drückte ich mich unauffällig hinaus. Sommer nickte mir zu, schaute dann mit kritischem Blick auf die Leiche im Sarg. Zufrieden über das, was er sah, ging er rückwärts aus dem Raum und schloss leise die Tür. Er erwischte mich noch am Treppenabsatz.
    »Frau Abendroth. Ich fahre jetzt ins Krematorium und bin morgen wieder zurück. Es liegt ein brauner Umschlag auf meinem Schreibtisch, der ist für Herrn Bartholomae. Händigen Sie ihm den aus, wenn er noch kommt.«
    »Mach’ ich.«
    Jetzt kippelte der Kugelfisch wieder auf seinen Hacken hin und her. Was wollte er denn jetzt noch? Schlimmstenfalls eine Lohnerhöhung ankündigen.
    »Ähh, das war knapp gerade, Frau Abendroth, aber … aber Sie machen das schon ganz gut. Ich meine, dafür, dass Sie nicht vom Fach sind.«
    »Danke, Herr Sommer. Das legt sich wieder.«
    Soviel zur Lohnerhöhung. Ich ließ ihn einfach stehen. Was wusste der denn schon? Nicht vom Fach! Ich war schließlich im Laufe der letzten Monate zur 1A-Bestatterin meiner Lebensträume geworden.
    Während ich in den Arbeitsraum zurückging und leise die Stahltür schloss, fuhr Sommer mit quietschenden Reifen vom Hof. Matti stand immer noch am Sarg von Herrn Manowski. Ich schaute ihm über die Schulter und betrachtete die sterblichen Überreste des alten Mannes. Aber ich konnte einfach nichts Interessantes ausmachen.
    »Herr Matti, ich sehe nichts. Was ist denn?«
    Matti streckte seinen dünnen Zeigefinger aus. Ich konnte immer noch nichts erkennen.
    »Da.«
    »Flusen, ein gelber Flusen.«
    »Warum?«
    Herrgott noch mal, Matti! Ein paar Worte mehr würden es mir schon einfacher machen. Ich bin doch nicht die Spanische Inquisition. Ich atmete tief durch.
    »Und?« Was Matti konnte, konnte ich schon lange.
    »Immer gelbe Flusen. Ganz oft.«
    »Na schön. Gelbe Flusen. Woher kommen die? Trägt der Sensenmann doch nicht Schwarz?«
    »Frau Abendroth!«
    Ich reckte hilflos die Hände in die Luft. Matti wich vor meinem Gefuchtel zurück.
    Um die Lage zu entspannen, machte ich ihm einen Vorschlag: »Kaffee?«
    »Gerne, danke.«
    Na also!
    Oben angekommen, musste ich mich erst mal beruhigen. Gelbe Flusen, gelbe Flusen. Was sollte das denn? Hatte Matti einen Toten zu viel gesehen in seinem Leben? War er allergisch gegen Gelb? Entgegen meinem Temperament nahm ich mir diesmal vor, es mit Geduld zu versuchen. Eigentlich konnte ich mit Menschen, die so langsam oder so wenig sprachen oder so taten, als stünden sie auf der Leitung, nichts anfangen. Aber Matti war einfach sehr, sehr nett und sehr, sehr höflich, und er machte mir nicht im Mindesten den Eindruck, auf irgendeiner Leitung zu stehen. Er war einfach so.
    Ich hatte die zwei Kaffeetassen zu voll gemacht und balancierte damit vorsichtig nach unten. Es gab einen kleinen Stau vor dem Arbeitsraum, weil die Angehörigen aus dem Aufbahrungsraum 2 gerade wieder herausströmten. Sie schauten auf meine Arbeitskluft und die zwei vollen Kaffeetassen, murmelten dann hastig, sie fänden schon selbst hinaus und polterten die Treppe hinauf.
    Matti saß auf der Metallkiste, in der die Chemikalien und Gerätschaften für die Einbalsamierungen aufbewahrt wurden, und streckte mir seine behandschuhte Rechte entgegen. Ich blickte streng auf den Gummihandschuh. Matti zog ihn

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