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totgepflegt: Maggie Abendroth und der kurze Weg ins Grab (German Edition)

totgepflegt: Maggie Abendroth und der kurze Weg ins Grab (German Edition)

Titel: totgepflegt: Maggie Abendroth und der kurze Weg ins Grab (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minck
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Halse stecken. Kleine Kinder, die mit dem Finger auf mich zeigten, wurden gnadenlos angeknurrt. In der Reinigung wurden mir meine Sachen sehr schnell ausgehändigt. Ich sah wohl nicht so aus, als sei es ratsam, mit mir ein Schwätzchen anzufangen. Als ich endlich beim Café Madrid, meiner Stammkneipe aus früheren Tagen, angekommen war, war ich aus der Puste wie ein 10.000-Meter-Läufer. Aus dem Madrid winkte mir ausgerechnet ein Bekannter aus alten Tagen enthusiastisch zu: Kai-Uwe Hasselbrink aus der 10b. Das hatte mir gerade noch gefehlt. Ich guckte starr geradeaus. Das hatte auf dem Schulhof auch immer geholfen.
    Ich flitzte beim Bergbaumuseum bei Rot über die Ampel. Den Aldi ließ ich links liegen. Wochenendeinkauf fiel flach. Da ich nicht vorhatte, Wilma für die Szene im Salon auch noch zu bezahlen, selbst wenn sie in drei von vier Punkten Recht hatte, könnte ich von dem Geld Samstag und Sonntag im Café Madrid frühstücken gehen. Und nicht nur das, ich könnte Kai-Uwe einen Fünfer extra in die Hand drücken, damit er die Klappe hielt und nicht auf die Idee kam, mit mir über alte Zeiten zu quatschen.
    Dr. Thoma sah mir sehr interessiert zu, als ich unter der Dusche die Restfarbe aus den Haaren wusch. Er ließ ein lang gezogenes, anklagendes »Maaaaoooooo« hören. Ich schob die Tür von der Duschkabine auf und informierte meinen Hausfreund über die neuesten Entwicklungen: »Ja, mein Schatz, danke der Nachfrage. Ich habe wirklich abgenommen. Ich habe soeben 50 Kilo Freundin verloren.«

06
    Über Deutschland fegte eine Grippewelle hinweg, die auch Bochum nicht aussparte und das Arbeitspensum bei Pietät Sommer von jetzt auf gleich fast verdoppelte.
    Es gibt ja Leute, die aus Prinzip nie krank werden, dazu gehören Hausärzte, Apotheker und Bestatter. Also hielt auch ich mich an das ungeschriebene Gesetz und wurde nicht krank. Mein Dauerlauf mit klatschnassen Haaren durch den Bochumer Winter hatte mir nichts anhaben können. Schwarze Kastanie blieb, trotz der eiskalten Unterbrechung während des hochsensiblen Färbeprozesses, in meinen Haaren haften. Übers Wochenende hatte ich mehrmals versucht, Wilma anzurufen, aber sie nahm den Hörer nicht ab. Am Dienstag rief ich im Salon an, aber man sagte mir, dass die Chefin mit Grippe im Bett läge. Geschah ihr doch recht. Mehrfach sprach ich ihr meine Bitte um Rückruf aufs Band, bekräftigte meinen Willen zur Versöhnung und hängte noch ein »Gute Besserung« hinten dran. Mehr konnte ich nun wirklich nicht tun. Jetzt hieß es abwarten, bis Wilma mit ihren Spinnereien fertig war. Die Show, die sie gerade abzog, hatte nicht mehr wirklich was mit mir zu tun. Von mir aus sollte Wilma ruhig mal wieder die seltsame Gräfin geben. Nur diesmal hatte ich keine Zeit, ihr zu applaudieren, denn die jahreszeitbedingte Todeswelle hielt mich davon ab.
    Matti gab mir einen Schnellkurs in Einbetten. Zitterhändchen war gestern. Matti und Sommer schafften es einfach nicht mehr alleine, das sah ja sogar ich ein. Der Kugelfisch konnte vor lauter salbungsvollem Geschwafel kaum noch sprechen. Allein in der ersten Woche der Grippewelle stapelte sich bei uns alles, was über 70 war. Die Hinterbliebenen gaben sich die Klinke in die Hand. Was aber gar nicht so schlimm war, denn keiner hatte mehr das Exklusivrecht auf das Unheil. Mein Büro wurde vielmehr zu einem Treffpunkt der Selbsthilfegruppe »Grippeopfer«. Ich kochte im 30-Minuten-Takt Kaffee für alle, schenkte aufmerksam wie eine Geisha allen Betroffenen reichlich nach und übte Bestatter-Konversation.
    »Auch an der Grippe?«
    »Ja, vor einer Woche war sie noch so rüstig« oder »… mein Mann und ich wollten über die Feiertage ins Allgäu, und jetzt das.«
    Sehr beliebt auch der Satz: »Tja, kommt aus Asien, das Dreckzeug.«
    So ging es den ganzen Tag. Al Quaida war im Angesicht der Aggression kleiner Viren auch von gestern. Unser Sarglager leerte sich rapide. Auf meinem Schreibtisch herrschte ein Chaos aus Trauerkarten mit Goldschnitt und Faxen mit Texten für die Traueranzeigen, die auf ihre Korrektur warteten. Ob Schmidt mit »dt«, einfach »t« oder »tt« – das galt es zügig herauszufinden. Nicht, dass die üblichen Beerdigungsschnorrer noch auf der falschen Veranstaltung Kuchen abstaubten. Zwischendurch kam der neutral lackierte Laster aus Rumänien mit neuen Sargmodellen angerauscht. Matti wurde immer blasser. Obwohl ich ihn, wann immer es meine Zeit zuließ, mit Kohlenhydratbomben in Form von Nutella-Brötchen

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