totgepflegt: Maggie Abendroth und der kurze Weg ins Grab (German Edition)
ich.
»Matti, kommen Sie mal bitte.«
»Ich weiß, Frau Abendroth, gelbe Flusen.«
Matti atmete hörbar aus.
»Es tut mir so Leid«, versuchte ich ein Gespräch anzufangen.
»Ja, ja. Schrecklich«, sagte er leise.
»Herr Matti, kann ich …«
»Danke, gehen Sie nur. Danke.«
Ich wollte mich nicht aufdrängen, und ich wusste ja selbst, wie schlecht ich in emotionalen Angelegenheiten war. Also ging ich nach oben und warf einen Blick in die Aktenmappe, die Sommer auf dem Tisch hatte liegen lassen. Ich blies die Backen auf, hielt die Luft an und las: »Erika Kostnitz, Todesursache Herzversagen«. Unterschrieben war der Totenschein von Dr. Weizmann. Schon wieder dieser Weizmann, dieser Nichtskönner. Ich war mir sicher, dass Weizmann in einer Leiche noch nicht mal ein Tranchiermesser bemerkt hätte, selbst wenn aus dem Brustbein ein roter Griff 30 Zentimeter direkt in den Himmel geragt hätte. Augenarzt … wahrscheinlich blind wie ein Maulwurf. Ich korrigiere – zugesoffener, blinder Maulwurf. Und da lag auch die Verfügung von Erika Kostnitz. Sie wollte eine anonyme Urnenbestattung in Dieren, Niederlande? Das hatte ich ja noch nie gehört. Ich musste Matti fragen, was es damit auf sich hatte.
Ich wollte so gerne etwas für Erika Kostnitz tun. Aber was?
Ich ging wieder hinunter in den Arbeitsraum.
»Herr Matti, entschuldigen Sie, aber Erika schreibt, sie will kremiert und in Dieren bestattet werden? Wie geht das denn?«
Er war gerade dabei, Erikas Leiche zu entkleiden. Ich konnte kaum hinsehen. Die Leiche war vollständig bekleidet. Hatte Erika gar nicht mehr im Bett gelegen? Wenn sie noch richtig krank gewesen wäre, hätte sie doch sicherlich ein Nachthemd angehabt?
»Das geht. In Dieren ist ein Krematorium. Man kann dort ins anonyme Urnenfeld«, sagte er.
Seine Hände zitterten, als er Erikas Bluse aufknöpfte. »Und was sagen Sie, Frau Margret? Erika Kostnitz hat das geschrieben?«
»Der Vorsorgeplan liegt oben. Von ihr unterschrieben.«
Herr Matti schüttelte den Kopf. Er stützte sich auf dem Arbeitstisch ab und ließ den Kopf hängen. Seine Nase war noch spitzer als sonst. Jetzt sah er aus wie ein trauriges Kasperle.
»Herr Matti, was ist denn?«
»So traurig«, war alles, was er noch hervorbrachte. Vielleicht hilft ihm ja irgendetwas Praktisches, dachte ich.
»Wir heben erst mal die Flusen auf, Matti. Haben wir so was wie eine Schachtel?«
Ich kramte in den Schubladen herum und fand eine Pinzette und Plastiktütchen.
»Ich habe schon welche gesammelt.«
»Wo?«
Er ging in den hinteren Teil des Kühlraumes zum Chemikalienschrank und kam mit einer Metalldose, wie man sie für die sterilen Instrumente brauchte, wieder heraus. Darin lagen sieben Plastiktütchen mit gelben Flusen, alle ordentlich mit einem Datum beschriftet. Namen fehlten.
»An Ihnen ist ein Kriminalist verloren gegangen«, versuchte ich ihn aufzumuntern. Dann wurde ich wieder ernst, als ich Mattis tränenverschleierte Augen sah. Er hatte die Prusseliese wohl mehr als nur gemocht. Immerhin, sie konnte Tangos spielen wie weit und breit keine Zweite.
»Okay, wir sammeln, aber was machen wir jetzt damit?«
Bevor wir eine Antwort finden konnten, ging oben die Tür zum Büro auf.
»Eins noch, Herr Matti, wer hat sie gefunden?«
»Schwester Beate.«
»Schwester Beate, die vom Pflegedienst?«
»Ja.«
»Die, die hier war, wegen Frau, Frau …?«
»Becker«, ergänzte er.
»Oh.«
Matti ließ die Flusen in der Kassette verschwinden, und ich eilte die Treppe hinauf, in Gedanken mit Schwester Beate beschäftigt.
Ich war noch nicht ganz oben angekommen, da konnte ich ihn schon riechen.
In der Eingangstür stand sehr verlegen ein Mann um die 70 oder 80. Genau konnte ich das nicht sagen. Er war, freundlich ausgedrückt, sehr ungepflegt, stank nach Alkohol und muffigen, ungewaschenen Klamotten. Sein verfilzter Bart hing ihm bis auf die Brust. Mit stark geröteten Augen sah er mich Hilfe suchend an, konnte seinen Blick aber nicht fokussieren.
»Guten Tag. Kann ich was für Sie tun?«
Der Mann schwankte vor und zurück.
»Möchten Sie sich setzen?«
Er machte einen Schritt vorwärts und hielt sich am Garderobenständer fest.
Draußen schneite es wie schon Jahre nicht mehr. Egal, selbst wenn der Mann ein Penner war, dann sollte er sich wenigstens für fünf Minuten aufwärmen können. Wenn der Gestank zu schlimm wurde, könnte ich ihn immer noch mit Enzymspray neutralisieren.
»Kaffee?«, machte ich einen neuen Versuch.
Der
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