totgepflegt: Maggie Abendroth und der kurze Weg ins Grab (German Edition)
warten. Dann sollte ich mit Kostnitz in den Aufbahrungsraum 1 gehen.
Als ich wieder nach oben kam, war Kostnitz verschwunden. Der Geruch von ungewaschenem Mann, klammem Wollstoff und Cognac hing noch in der Luft. Matti kam die Treppe herauf.
»Weg. Er ist einfach weg«, sagte ich.
»Er kommt wieder.«
»Wie können Sie sich so sicher sein?«
»Der Cognac ist noch nicht alle.«
Schon wieder eine neue Seite an Matti. Ich hatte bis gerade eben noch nicht bemerkt, dass er auch ironisch sein konnte.
»Wussten Sie, dass Erika einen Mann hat?«
»Ja.«
»Und, dass er so … so … na ja, abgestürzt ist?«
»Ja. Ich geh’ dann mal wieder runter.«
Bevor Matti nach unten verschwinden konnte, rief ich ihm hinterher: »Herr Matti, ich muss Sie noch mal was fragen. Wie kann man denn mit Leichen über die Grenze fahren?«
Er blieb auf der halben Treppe stehen.
»Sie kriegen einen Leichenpass. Ausgestellt vom Amtsarzt.«
»Nach einer Obduktion?«, hakte ich nach.
»Nein, eine zweite oberflächliche Leichenschau. Keine Obduktion.«
Mit hängenden Schultern ging er die Treppe hinunter. Ich nahm das Enzymspray aus der Schublade und klärte erst mal die Luft im Büro. Dabei machte ich mir Gedanken über eine mögliche Verzollung von Leichen.
Kostnitz und die Prusseliese gingen mir nicht aus dem Kopf. Die beiden begleiteten mich sozusagen nach Hause. So langsam machte mir der Job ehrlich zu schaffen. Zu viel Realität. Ich wünschte mich sehnlichst zurück in meinen sicheren Hafen aus Fantasie und erfundenen Charakteren. Aber offensichtlich konnte ich ja keine mehr erfinden. Das hatte ich jetzt davon. Jetzt kriegte ich sie frei Haus vom richtigen Leben geliefert. Ich konnte mich nicht daran erinnern, jemals eine diesbezügliche Bestellung beim Kosmos aufgegeben zu haben. Ich war jederzeit bereit, alles bis dahin Gelieferte sofort an den Absender zurückzuschicken. Porto auch gerne zu meinen Lasten. Wenn ich nur gewusst hätte, vor wem ich auf die Knie fallen könnte. Ich hätte es getan, ich hätte kniend und mit erhobenen Händchen darum gebettelt, mein altes Leben zurückzubekommen.
War es endlich soweit? War das jetzt die Rache für all meine schlechten Storys, das viele Geld, das ich damit eingenommen und ebenso schnell mit vollen Händen wieder ausgegeben hatte? Wollte mir das Leben mal zeigen, was für Geschichten es einfach so tagtäglich schreiben konnte? Ohne Computer, ohne Fernsehen, ohne Storyliner oder Redakteure und ohne mich? Nur für mich! Ich, Maggie Abendroth, bin die einzige Einschaltquote. Bitte, egal, wer auch immer dafür zuständig ist – ich habe das hier nicht bestellt!
Um es ein für alle Mal klar zu machen: Ich will wieder zurück zu meiner Sorglosigkeit, zu meinen Prada-Handtäschchen, zum Friseur und zum Comedy-Festival nach Montreux!
Ich ahnte es aber bereits: Niemand würde mein Stoßgebet entgegennehmen, geschweige denn zur Begutachtung an die Geschäftsleitung weiterleiten.
Die Beschwerdestelle des Lebens ist ein toter Briefkasten in Wattenscheid. Also Maggie, hör auf deine Oma und reiß dich mal zusammen!
10
Wo ich schon mal beim Bilanzieren und Jammern war, wollte ich nicht gleich wieder damit aufhören. Musste ich auch nicht, denn im Briefkasten fand ich eine Benachrichtigung der Bank. 400 Mark meines Kredites hatte ich bereits abbezahlt. Auf meinem Konto befanden sich noch 250 Mark, dabei war heute erst der 17. Dezember. In sieben Tagen stand Heiligabend ins Haus, und ich war zu keiner Weihnachtsparty eingeladen.
Seit meinem Umzug hatte ich mit niemandem aus dem Kölner Fernsehland auch nur ein Wort gewechselt. Wozu auch? Wen auch immer ich nach seinen Feiertagsplänen gefragt hätte, hätte mir den üblichen Feiertagsstundenplan, der für sämtliche Fernsehleute galt, heruntergerasselt. Ab Anfang Dezember waren mindestens drei Partys pro Woche Pflicht. Spätestens ab dem 20. würden alle in ganz weit entfernte Länder verschwunden sein. Mit oder ohne Gattin, mit oder ohne Geliebte. Und ich? Ich war nirgendwohin eingeladen. Ich war niemandes Gattin und niemandes Geliebte. Ein Telefonanruf vor ein paar Monaten hatte gereicht, um mich rückstandsfrei aus dem Verteiler für Weihnachtseinladungen sämtlicher Computer in Köln und Umgebung zu löschen. Also, am Ende des Tages war ich eine komplett bindungslose Einsiedlerin ohne Weihnachtsparty.
De facto hatte ich wirklich nur noch eine Freundin: Wilma, von der ich auch nix Genaues wusste, weil ich sie nach unserem Salonzoff
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