totgepflegt: Maggie Abendroth und der kurze Weg ins Grab (German Edition)
unterschrieben. Unter anderem meine Gehaltsüberweisung.
»Muss das jetzt schon überwiesen werden, Frau Abendroth? Es ist doch erst Mitte Dezember.«
»Bis es da ist, ist es fast Ende Dezember, Herr Sommer. Ich kann leider nicht bis nach Neujahr warten. Ich bin etwas klamm.«
»Trotzdem«, bäumte er sich auf.
»Hätte ich mit meinem selbstlosen Einsatz während der Grippewelle auch bis nach den Feiertagen warten sollen? Entschuldigen Sie, aber ich brauche das Geld wirklich. Aber wenn Sie in finanziellen Schwierigkeiten stecken, dann ist das natürlich was anderes.« Geizhals!, hätte ich gerne noch hinzugefügt, aber Sommer unterschrieb den Überweisungsträger und schob mir, ohne mich dabei anzusehen, die Überweisungen hin.
Sommer, Sommer, ob du wohl in irgendwelche Schweinereien verwickelt bist?, fragte ich mich und kam zu dem Ergebnis, dass man sich über nichts und niemanden sicher sein durfte. Wie oft hatte ich in den letzten Jahren ein überzeugtes »Der-doch-nicht« oder »Die-doch-nicht« ausgesprochen. Und was war das Ende vom Lied gewesen? Doch »Die« oder »Der«, vor allem der Knipser. Ich nahm mir vor, fürs Erste den Ball flach zu halten. Bei Tageslicht betrachtet, mutete das gestrige Gespräch zwischen Matti und mir sowieso wie ein Dialog aus Tales of the Crypt an. Wer sagte mir denn, dass Herr Matti nicht komplett einen an der Waffel hatte? Wollte ich etwa gerade eben schon wieder behaupten: »Der doch nicht«?
Als ich von der Bank zurückkam, waren Sommer und Matti verschwunden, und ein Zettel auf meinem Schreibtisch sagte mir, dass sie zu einem Todesfall gerufen worden waren.
Da konnte ich mich noch mal in aller Ruhe der Namensliste widmen. Natürlich war ich neugierig. Ich ging alle Dateien, die ich öffnen konnte, noch einmal durch. Aber es blieb dabei. Es handelte sich samt und sonders um Personen ohne Anhang, die alle eine anonyme Bestattung vereinbart hatten. Billigster Sarg, anonymes Gräberfeld und Ende. Keine Kirche, kein Kuchen, keine Kerzen. Klang alles ganz normal. Nur, als Ansprechpartner und Rechnungsadresse war in 13 Fällen ein gewisser Bartholomae angegeben.
Jetzt fiel es mir wieder ein. Der Typ, der den Umschlag vor ein paar Tagen abgeholt hatte, hieß doch Bartholomae. Er hatte keinen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen, da er nur kurz hereingeschaut hatte, um den Umschlag in Empfang zu nehmen. Nach einem kurzen »Hallo« und »Auf Wiedersehen« war er auch schon wieder verschwunden. Ich erinnerte mich nur an einen sehr teuer aussehenden Hut und einen edlen dunkelblauen Mantel. Kaschmir, vermutlich. Und er war sehr in Eile gewesen.
Bei nur einem Namen von 14 hatte eine abweichende Verfügung vorgelegen. Da hatte es einen anderen Nutznießer gegeben. Eine gewisse Frau Scholl. Und die hatte nicht viel von ihrem Erbe gehabt. Denn in der Liste tauchte auch sie auf. Drei Monate später. Kurz bevor ich bei Sommer angefangen hatte, war auch sie von ihm bestattet worden. Matti hatte auch sie auf die Liste der Flusenopfer gesetzt. Wer bei Frau Scholl allerdings geerbt hatte, konnte ich nicht herausfinden.
Eine Ausnahme von 14. Bestätigt das die Regel? Und die 14 Namen, die Matti noch im Gedächtnis hatte, was sowieso schon phänomenal war, waren ja noch nicht alle. Blieb zu überlegen, was das bedeuten könnte. Und wenn es was bedeutete, wem nützte es was? Und was für eine Geschichte erzählten gelbe Flusen? Mattis Theorie formulierte die schlimmste aller Möglichkeiten: Mord.
Margret, fang du nicht auch noch an zu spinnen, mahnte meine innere Stimme. Alle Leichen sind mit ordentlichem Totenschein gekommen. Anders ging es doch in unserem Staate nicht, es sei denn, man heißt Dr. Weizmann. Man kann nur bestattet werden, wenn ein Arzt eine Leichenschau vorgenommen hat. Nur bei berechtigtem Verdacht, so hieß es im Bestatterhandbuch, also bei ungeklärter Todesursache oder Verdacht auf Fremdverschulden, wurde eine Autopsie angeordnet. Seit ich bei Sommer arbeitete, war dieser Fall noch nie eingetreten.
Ich schaute mir die Liste noch mal genau an. Wer war dieser Bartholomae? Der war doch nicht mit all diesen Leuten verwandt? War er ein bestellter Nachlassverwalter? Ich hörte, wie der Leichenwagen in die Hofeinfahrt fuhr. Flugs rief ich eine andere Datei auf.
Ich zündete die Kerze an und wartete auf Sommer und den Papierkram, den er mitbringen würde.
Sommer brachte mir gar nichts mit, denn die Verstorbene war eine anonyme Bestattung, und die übernahm er ja
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